Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
euch“, sagte Scarlett und sprang so schnell auf, dass ihr Knie mit voller Wucht gegen das Tischbein knallte. „Auaaa … geht ruhig schon vor!“
Hanns war schon immer ein bedächtiger Typ gewesen. Natürlich nahm er sich Zeit mit dem Aufstehen, stapelte schön sein Geschirr zusammen und sah sich um, wo er es denn hinräumen könnte. So konnte sich Scarlett zu ihm durchdrängeln und erreichte ihn, bevor er seinen Platz verlassen hatte.
„Das kannst du stehen lassen“, sagte sie zu ihm, „hier wird abgeräumt!“
Hanns starrte sie erstaunt an.
„Kennst du mich noch?“, rief sie. „Ich bin’s, Scarlett!“
Sie strahlte ihn an und stellte fest, dass der hagere Hanns nun größer war als sie. Früher war es umgekehrt gewesen.
„Sca-scarlett!“, wiederholte er und seine Augen weiteten sich. „Du-du bist auch hier?“
Scarlett hatte sich mehr Begeisterung erhofft. Aber gut, Hanns hatte überhaupt nicht mit ihrem Auftauchen gerechnet. Und seine Reaktionen waren schon immer verhalten gewesen, es sei denn, er ging ganz im Spiel auf, das sie spielten, und vergaß, schüchtern und vorsichtig zu sein. Dann hörte er übrigens auch mit Stottern auf.
„Ja, schon seit einem halben Jahr! Wie geht’s dir? Wie waren die alten Leute zu dir? Leben sie noch?“
Scarlett wollte das alles unbedingt wissen, möglichst schnell, doch Hanns blieb erst mal stumm und starrte sie weiterhin an. Dann endlich öffnete er wieder den Mund.
„Da-das ist ja to-toll, dass du-du auch hier bist!“
Jetzt strahlte Hanns zurück, ganz ehrlich, aber einen Augenblick später wurde er schon wieder ernst.
„Wir kö-können ja mo-morgen reden“, brachte er hervor. „Ich mu-muss jetzt auspa-packen.“
Scarlett war etwas vor den Kopf gestoßen angesichts dieser Antwort, doch sie war bereit, Hanns so zu nehmen, wie er eben war. Umständlich und ordentlich und … und …
„Wu-wunderschön“, sagte Hanns. „Du siehst wu-wunderschön aus!“
Damit hatte Scarlett nun nicht gerechnet. Sie wurde ganz verlegen und starrte schnell ins hinterste Eck des Hungersaals.
„Oh, äh, das ist nett, dass du sagst, Hanns. Du siehst aber auch gut aus.“
„Tschü-tschüsss dann“, sagte er und wandte sich ab, um den anderen Schülern hinterherzulaufen.
Scarlett sah ihm nach und konnte nicht umhin, enttäuscht zu sein. Dabei wusste sie doch zu gut, dass die Wirklichkeit nie so war, wie man sie sich in den Träumen ausmalte. Deswegen war sie ja auch die Wirklichkeit. Ein Vorteil der Wirklichkeit war, dass sie wirklich war. Es war keine Einbildung: Hanns war wirklich hier!
Als eine der Letzten verließ Scarlett den Hungersaal und als sie durch die Gänge spazierte, gedankenverloren, tauchte auf einmal Gerald neben ihr auf.
„Na, sehen wir heute wu-wunderschön aus?“
„Was fällt dir ein! Wie kannst du dich über Hanns lustig machen, nur weil er stottert?“
„Falls du’s nicht bemerkt hast: Ich hab mich über dich lustig gemacht!“
Scarlett sah an Geralds Anzugärmel empor: Gerald war drei Jahre älter als sie (oder waren es nur zwei?) und einen Kopf größer. Sie fühlte sich aber gar nicht jünger oder kleiner als er. Auf unsichtbarer Ebene waren sie gleichauf, ebenbürtige Gegner, jedenfalls glaubte sie das.
„Er ist ein alter Freund von mir“, erklärte sie.
„Ja, sah ganz so aus. Er konnte sich kaum einkriegen vor Freude, dich wiederzusehen.“
„Es ist eben lange her und er hat nicht damit gerechnet. Außerdem lässt er sich seine Gefühle nicht so ansehen. Er ist ein stiller, tiefer Typ.“
„Ach ja? Und was bin ich dann? Ein lauter, flacher Typ?“
„Sicher niemand, der seine beste Seite vor anderen verbirgt.“
Gerald lachte.
„Tja, wozu auch?“
Während sie zusammen in Richtung Trophäensaal schlenderten, machte er Witze über das Essen, klagte über die rostbraune Farbe des Waschwassers auf seinem Stockwerk und erzählte von einem Mitschüler, der als Rechtshänder in die Ferien gegangen und als Linkshänder zurückgekehrt war, und niemand konnte sich erklären, warum das so war.
„Sag mal, kleine Hexe“, meinte er schließlich, „was wird denn jetzt aus unseren gemütlichen Abenden am Kaminfeuer im Hungersaal? Hausmeister Schnecke hat sich verkrochen, die Köchin wohnt wieder im Angestellten-Trakt und wir beide müssen getrennt essen. Das kann doch nicht alles sein, was von unserem Winterglück übrigbleibt?“
„Was sollte denn deiner Ansicht nach übrig bleiben?“
„Na ja, wir könnten uns ab
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