Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
Ingwerbrezeln, Nusshexaedern, Pferdeäpfeln (aus Marzipan selbstverständlich) und Mohnschokolade aus.
Lisandra stöhnte vor Begeisterung, als Maria den Inhalt der Taschen auf ihrem Bett ausleerte, und Lisandra stöhnte noch viel mehr, als sie kurz darauf zum Abendessen in den Hungersaal gingen, denn da hatte Lisandra schon so viele Pferdeäpfel in sich hineingestopft, dass ihr Magen sich anfühlte, als wären es echte Pferdeäpfel gewesen.
Nicht nur aus Quarzburg war ein Kutschbus angekommen, auch aus verschiedenen anderen Richtungen hatten sich Schüler und Fahrzeuge nach Sumpfloch durchgeschlagen, sodass der Hungersaal fast zur Hälfte gefüllt war, als die vier Mädchen dort eintrafen. Scarlett machte das ein bisschen schwermütig. Sie war daran gewöhnt, im kleinen Kreis zusammenzusitzen, mit Viego Vandalez, Gerald, Herrn Winter, der Köchin und dem schüchternen Hausmeister mit dem Schneckenkopf, der meist am Ende der Bank gesessen und Knobelaufgaben in seinem Rätselheft gelöst hatte. All diese Leute, die Scarlett vertraut geworden waren, fanden nun am anderen Ende des Saals zusammen, am Lehrertisch und am Tisch der Hausangstellten. Scarlett nahm da Platz, wo sie nun mal hingehörte: bei den Schülern. Bevor sie sich hinsetzte, warf sie noch einen kurzen Blick zum Lehrertisch hinüber und ihre Augen trafen auf die von Gerald. Er lächelte sie verschwörerisch an und bevor sie sich selbst daran hindern konnte, lächelte sie zurück.
Bevor die dampfenden Schüsseln mit dem undefinierbaren Inhalt aufgetragen wurden, stellte die Direktorin, die mehr einer Schildkröte ähnelte als einem Menschen, ihre elefantösen Vorderbeine auf einen Stuhl, um sich langsam daran aufzurichten. Von Perpetulja (einen Nachnamen hatte die Frau nicht) hieß es, sie sei sehr klug, gebildet, weise und alt. Eigentlich hätte sie ein viel höheres Amt bekleiden müssen als das einer Direktorin von Sumpfloch, doch sie war in den dunklen Zeiten der Tiermensch-Verfolgung geboren worden und als eine, die besonders schildkrötig aussah und kaum menschlich, war sie viele Jahrhunderte lang angefeindet worden. Man sagte sogar, sie habe sich an den dunkelsten Orten verstecken müssen, um zu überleben. Nun war dieses düstere Zeitalter längst vorbei und man hatte sie als kluges und weitsichtiges Wesen anerkannt. Alleine die Tatsache, dass sie quälend langsam sprach, verhinderte aber jede wissenschaftliche oder politische Karriere. Der Posten als Schulleiterin war alles, was man ihr zubilligte, doch glaubten einige, sie wirke hier und da im Geheimen und habe bedeutende Unterstützer.
All das hatte Scarlett in den Ferien von Gerald erfahren. Daher betrachtete sie die Schildkröten-Direktorin heute mit anderen Augen als noch im letzten Halbjahr. Zehn Minuten dauerte es, bis Perpetulja sie alle begrüßt und ihnen ein schönes Schuljahr gewünscht hatte. Sie erklärte außerdem, dass der Unterricht morgen wie üblich beginnen werde, auch wenn die Hälfte der Schüler noch fehle (und auch ein paar Lehrer, unter ihnen Estephaga Glazard, die normalerweise für Perpetulja sprach, was wesentlich angenehmer gewesen wäre). Das Lehrerpersonal werde auf diesen Umstand Rücksicht nehmen und keinen wichtigen Stoff durchnehmen.
Alle atmeten auf, als Perpetulja sich anschickte, wieder auf alle Viere zurückzufallen (auf diese Weise bewegte sie sich am liebsten fort), doch als schon eins der Vorderbeine in der Luft schwebte besann sie sich eines Besseren und öffnete noch einmal den krummen, olivgrünen Schlitz, der in ihrem kartoffelförmigen Kopf den Mund darstellte:
„Daaaa ... isssst … noch ... eeee … eeetwas …“, brachte sie hervor, dann machte sie eine ihrer ewig langen Verschnaufpausen, um endlich fortzufahren: „Wiiiir … wiiiir haaaben einen neuuen Schüüüüü ... üüüler … doooort ...“
Sie nickte in die Richtung, wo wohl der neue Schüler saß, und jemand, der sehr hungrig war, stieß den neuen Schüler an und zischte:
„Steh auf, lass dich begrüßen, damit wir’s endlich hinter uns haben!“
Ein blonder Junge stand auf, hochgewachsen, schmal, mit einem ordentlichen, doch billigen Anzug und freundlichen, fast ängstlich-schüchternen grauen Augen.
„Dassss … dassss … iiiiisssst ... Hannnnnns. Willll … kommmen … innn … Sumpf …“, pause, pause, pause, „ … loch!“
Die Schüler klatschten höflich, Hanns errötete und machte einen Diener.
„Da-danke euch!“, sagte er und setzte sich schnell
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