Die Sumpfloch-Saga Bd. 3 - Nixengold und Finsterblau
nicht besser aufpassen?“
Das Messer blieb unmittelbar über Geickos Scheitel in der Holzvertäfelung stecken. Lisandra rieb sich die Hände, die heftig zitterten.
„Toll, es hat geklappt!“
„Du spinnst wohl!“
„Jetzt stell dich nicht so an“, sagte sie.
Dabei hatte sie sich auch erschreckt. Aber zugeben würde sie es nicht. Nicht, solange er überflüssige Fragen zu Scarlett stellte.
Wenn Thuna bei Estephaga war, Maria Ausflüge in die Welt hinter den Spiegeln machte und Lisandra mit Geicko Instrumenten-Zauber übte, blieb Scarlett sich selbst überlassen. Dann ging sie am liebsten an die Orte, die im letzten Schuljahr ihre geheimen Treffpunkte mit Gerald gewesen waren. Sie nahm ein Boot und fuhr durch die finsteren Kanäle unter der Festung oder spazierte in der Dämmerung am Waldrand entlang. Sie fragte sich, ob Gerald auch so oft an sie dachte wie sie an ihn, weit weg, in seiner eigenen Welt. Oder ob ihn die Dinge und Menschen dort so ablenkten, dass er Scarlett vergaß.
Es war schon dunkel und der Himmel sternenklar, als Scarlett wieder einmal das Gartentor hinter sich schloss und den Weg einschlug, der unter den ersten finsteren Bäumen des bösen Waldes entlangführte. Es war nicht besonders gefährlich hier, der Weg schlängelte sich zwischen ein paar dunklen Baumriesen entlang und würde dann in die von Beerenbüschen überwucherten Hügel führen, die Sumpfloch jenseits der Sümpfe und des Waldes umgaben. Wenn man ihn immer weiterging, teilte er sich in mehrere Pfade, von denen einer in das Dorf Gürkel führte. Ein zweiter endete auf einem Hügel bei einem sagenumwobenen Stein und auf dem dritten Pfad gelangte man an eine verborgene Senke mit einem klaren See. Die Schüler wanderten im Sommer oft zum Baden dorthin.
Scarlett hatte an diesem Abend kein Ziel vor Augen. Sie ging nur langsam vor sich hin, in Gedanken versunken, von einem Baumschatten in den nächsten. Wenn ein Windstoß kam und die Blätter an den Bäumen hochhob, blinkten vereinzelt die Sterne auf. In einem dieser Sternenmomente war es, dass Scarlett das Gefühl hatte, nicht mehr alleine zu sein. Verwundert sah sie sich nach allen Seiten um.
Erst sah sie gar nichts, dann sah sie hier und da helle Lichtflecken, die sich bewegten, wenn das Laub der Bäume unruhig wurde. Kurz darauf entdeckte sie einen Lichtfleck, der viel größer war als alle anderen. Scarlett kniff die Augen zusammen und riss sie wieder auf. Kein Zweifel! Ein hellgrauer Wolf löste sich lautlos aus den Schatten und bewegte sich langsam auf sie zu. Sie hätte weniger Angst gehabt, wenn sie den Wolf für einen echten Wolf gehalten hätte. Doch dieser erinnerte sie zu sehr an Grindgürtels Wolfsgestalt.
In den Ferien hatte Scarlett oft von ihrer Begegnung mit Grindgürtel geträumt. Wie wehrlos sie sich gegen den mächtigen Zauberer vorgekommen war. Wie er sie in ein Buch verwandelt und darauf spekuliert hatte, dass sie ebenso wie Sumpfloch ein Opfer der Flammen und des Krieges werden würde. Doch der Herrscher von Fortinbrack hatte sich verrechnet. Scarlett und Sumpfloch gab es noch. Ein Umstand, der sicher nicht dazu beigetragen hatte, dass Grindgürtel Scarlett weniger hasste als zuvor. Sie wollte diesem Mann niemals wieder begegnen!
Der Wolf, der auf sie zukam, sah ein wenig anders aus als Grindgürtel. Er war grauer, vielleicht auch jünger und geschmeidiger. Er fiel in eine schnellere Gangart und machte plötzlich einen Satz auf Scarlett zu. Scarlett zog den Kopf ein, doch der Satz endete nicht damit, dass ein Wolf seine Krallen in sie schlug, sondern dass er seine Gestalt veränderte. Statt des Wolfes kam ein großer, blonder Junge mit grauen Augen vor Scarlett zu stehen.
„Hanns!“, rief sie überrascht.
„Hallo Scarlett!“, antwortete er und lächelte sie an.
Scarlett konnte nicht anders, sie freute sich. Obwohl sie doch genau wusste, dass Hanns hier überhaupt nichts zu suchen hatte!
„Was um Himmels willen machst du hier?“
„Ach, ich wollte nur mal nach dir sehen. Wir sind doch Freunde, oder?“
Scarlett wusste nicht, was sie sagen sollte. Fortinbrack war weit, weit weg, das Reich lag hoch oben im Norden, fast das ganze Jahr unter Eis und Schnee verborgen. Hanns konnte doch nicht im Ernst behaupten, dass er sich auf den langen Weg gemacht hatte, um sie zu sehen? Andererseits war Hanns ein hochbegabter Zauberer, den Grindgürtel zu seinem Nachfolger auserkoren hatte. Vielleicht war es für Hanns eine Kleinigkeit, hier einfach so
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