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Die Supermarkt-Lüge

Die Supermarkt-Lüge

Titel: Die Supermarkt-Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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1928 eingeweihten Denkmal steht, dass die Statue »zum Ruhme der normannischen Bäuerinnen« als Geschenk von »400 Männern und Frau en, die in Van Wert, Ohio, Käse fabrizieren«, nach Frankreich kam.
    Die Franzosen wehrten sich gegen die Nachahmer mit einer Appelation d’Origine contrôlée , also der aus dem Wein bekannten kontrollierten Erzeugerabfüllung. Das Original heißt jetzt »Camembert de Normandie AOC«. Doch die französischen Qualitätsanforderungen sind im eigenen Land bedroht. Besonders Repräsentanten des mächtigen Lactalis-Konzerns, Europas größter Produzent von Käse mit 32.000 Mitarbeitern, 8,5 Milliarden Jahresumsatz und 125 Standorten auf der ganzen Welt, fordern lautstark ein Gütesiegel auch für Camemberts aus mikrogefilterter, pasteurisierter Milch. Übrigens werden Lactalis-Produkte unter Namen wie Président, Galbani, Salakis oder Société selbstverständlich auch in deutschen Supermärkten angeboten.
    Früher war Camembert einfach der Name des franzö­sischen Dorfes, aus dem ein unverwechselbarer Käse stammte. Heute ist Camembert nur noch ein Wort – und ein schönes Beispiel dafür, wie sich die Lebensmittel­industrie einen traditionellen Begriff »ausborgt«, um unter dem positiv besetzten Namen beliebige Produkte zu verkaufen. Für den britischen Blauschimmelkäse Stilton wurde gar vorgeschrieben, dass er unter diesem Namen nur aus pasteurisierter Milch hergestellt werden kann. Der einzige traditionelle Hersteller von Rohmilchkäse musste seine Erzeugnisse in »Stichelton« umbenennen.
    Der ehemalige Nachrichtensprecher Ulrich Wickert, ein Mitglied der französischen »Käsebruderschaft« Compagnons de Saint-Uguzon , hat das mal so ausgedrückt: »Ein deutscher Käse entspricht einem Putzmittel: Der steht da, riecht sauber, sieht auch so aus und läuft nicht fort […]. Ein französischer Käse ist ein Lebewesen. Von einem Handwerker wird er – so er besondere Qualitäten erhalten soll – nach alten Rezepten aus roher Milch geformt, und seine Güte erhält er erst durch einen ständigen Reifungsprozeß.«
    Solche Rohmilchkäse sind extrem selten im Supermarkt zu finden. Dafür gibt es einen guten Grund: Nicht pasteurisierte Milch kann Keime enthalten. Wer nicht wirklich sicher ist, hygienisch einwandfreie Ware anbieten zu können, der sollte das nicht tun. Deshalb ist es logisch, dass echter Rohmilchkäse nur im Fachhandel erhältlich ist. Kein einziger Käse aus pasteurisierter Milch bringt freilich Käsegeschmack auf die Zunge.
    Im Käseregal bilden traditionelle Käsesorten wie der Camembert eher die Ausnahme. Die meisten Hersteller versehen ihre Erzeugnisse mit Phantasienamen , Bildern von schmausenden Mönchen und glücklichen Rindviechern, die mit der Herkunft und Produktion der Ware ­wenig zu tun haben – so haben »Klosterkäse« ein Kloster höchstens von der Autobahn aus gesehen.
    Der intensiv beworbene »Grünländer« beispielsweise ist ein Industriekäse der Hochland AG, bekannt durch Marken wie Almette, Patros und Valbrie. Hochland macht mehr als eine Milliarde Umsatz und beliefert sowohl Aldi und Plus als auch McDonald’s. Grünländer soll angeblich jedoch besonders nachhaltig erzeugt werden. Das Unternehmen wirbt mit der »grünen Seele« dieses Käses, die auch im Verzicht auf Konservierungsstoffe und »künst­liche Zusätze« zum Ausdruck kommen soll. Künstliche Aromastoffe und Farbstoffe würden nicht verwendet, heißt es. In drei Sorten Grünländer gibt es »natürliche Aromen« und »Extrakte«. Was der Gesetzgeber darunter versteht, ist in Kapitel 2 ausführlich beschrieben. Natür­liche Aromen lassen sich mit dem Verzicht auf künstliche Zusätze kaum in Einklang bringen. Ignoriert man jedoch konsequent, was Verbraucher unter »natürlich« verstehen könnten, dann ist die Formulierung juristisch korrekt. Solche Werbung ist ein gutes Beispiel dafür, wie Hersteller industrieller Nahrungsmittel alle Register ziehen und gleichzeitig an Gesundheits- und Umweltbewusstsein appellieren.
    Eine minimale Orientierung im Käseregal bietet die offizielle Einteilung der Erzeugnisse:
    Frischkäse sind besonders wasserreich. Ihr »trockener Anteil« liegt bei etwa 20 Prozent. Sie sind ausgesprochen mild und

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