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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gebracht zu haben, ihn zu heiraten. Sein Auftreten wirkte so schrecklich einstudiert, immer mit einer schicken neuen Krawatte oder in Anzügen, zu denen er Chucks trug. Bei besserem Wetter fuhr er mit einem alten Dreigangrad der Firma Schwinn zur Arbeit; er hatte Monate damit verbracht, im Internet nach Retro-Fahrrädern zu suchen, bevor er es aus Chicago hatte liefern lassen. Sogar die Wohnungseinrichtung der beiden wirkte künstlich, die afrikanischen Masken und vietnamesischen Wasserpuppen, die sorgfältig zwischen einem Zirkusplakat, einem Plan des Londoner Verkehrsnetzes und Bildern aus dem Fotoautomaten, auf denen Roger und Hoanh angestrengt lustige Gesichter machten, platziert waren. Auf dem Bücherregal im Wohnzimmer waren Plattencover ausgestellt – Joan Baez, Laura Nyro, Patti Smith, Joan Jett –, obwohl die Musik aus einem dieser derzeit überall beworbenen iPods kam, der in einer Ecke des Raumes an einen Lautsprecher angeschlossen war.
    »Haben die überhaupt einen Plattenspieler?«, fragte Grigori gereizt.
    »Die stehen da nur zur Dekoration«, antwortete Evelyn und zwickte ihn in den Arm. »Jetzt sei nicht so miesepetrig.«
    »Das ist aber doch meine hervorstechende Eigenschaft.« Er füllte ein Schnapsglas mit dem hausgemachten Kaffeelikör und reichte es ihr.
    »Oooh, mhmm, der ist wirklich lecker, den solltest du probieren, Grigori. Hallo, Zoltan.«
    »Kezét csókolom.«
Zoltan hatte Evelyns Hand ergriffen und sie geküsst.
    Grigori schüttelte ihm die Hand. »Ich muss schon zugeben, dass ich überrascht bin, dich hier zu sehen, Zoltan.« Dieser legte nämlich für gewöhnlich Wert darauf, jedem zu verkünden, er habe keine Zeit für solch »triviales akademisches Geplänkel, bei dem stets der eine den anderen zu übertreffen versucht«.
    Doch nun erklärte er: »Ich habe beschlossen, dass ich diesmal kommen muss, weil es meine letzte Gelegenheit sein wird.«
    »Was meinst du damit?« Nach dem, was er mit Christine durchgestanden hatte, konnte Grigori nicht umhin, sich Sorgen zu machen; vielleicht hatte auch Zoltan eine schlechte Nachricht von seinem Arzt erhalten.
    »Psst.« Er zog sie weg von dem Tisch mit den Getränken und flüsterte: »Dies ist mein letztes Jahr an der Universität. Als Direktor des Instituts wirst du nun offiziell als Erster informiert. Aber bitte sag den anderen noch nichts. Ich will nicht, dass irgendjemand denkt, er müsste etwas auf die Beine stellen, eine große Party oder eine Abschiedszeremonie veranstalten oder etwas in der Art. Ich möchte gern jeglicher Art von Gedenkveranstaltung entgehen.«
    Grigori bezweifelte, dass seine Kollegen oder die Universitätsverwaltung so großzügig wären. Er selbst würde sich etwas ausdenken müssen, um ihre Dankbarkeit angemessen auszudrücken. Zoltan fügte hinzu: »Glaub mir, es ist besser so. Ich mache mich einfach heimlich aus dem Staub.«
    »Aber wo willst du denn hin?«, fragte Evelyn, und Grigori verstand, was sie meinte – dass die Hochschule mit ihrem unerschütterlichen Glauben an die Intellektualität und mit all ihren geheimnisvollen Wissenschaften der einzig mögliche Ort für einen Mann wie Zoltan war, dessen künstlerische Hingabe in der alltäglichen Welt kaum einen Platz finden würde. Eine Universität war immerhin selbst eine Art Museum, ein Ort, an dem Menschen wie Zoltan und andere, die nirgends wirklich hineinpassten, sich über Jahrzehnte – sogar für ihr ganzes Leben – bequem niederlassen und sich mit jedem noch so esoterischen Thema beschäftigen konnten, bis ihnen die Haare ausfielen und der letzte Rest ihrer Jugend verflogen war.
    »Ich habe vor, nach Hause zurückzukehren«, erklärte Zoltan.
    »Nach Hause?«, fragte Evelyn, doch Grigori wusste, was er damit nur meinen konnte.
    »Ungarn«, fügte Zoltan hinzu. »Ein Häuschen am Balaton wartet dort auf mich.«
    »Wie lange hast du das schon geplant?«, fragte Grigori und ergänzte, als er den verletzten Tonfall seiner Stimme hörte: »Ohne dich wird es hier furchtbar trostlos sein.« Genau so empfand er es. Mit wem konnte er hier sonst über Mahler streiten, Baudelaire-Übersetzungenvergleichen oder die erbärmliche Qualität der Geschichten im
New Yorker
beklagen? Zoltan konnte sich über eine dumme Buchbesprechung in der
Times
in Rage reden, wobei es gar nicht darauf ankam, von wessen Buch über welches Thema die Rede war. Er rief Grigori an, wenn eine bestimmte Schumann-Aufnahme im Radio gesendet wurde, und zeigte sich schwer beleidigt, wenn

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