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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wirkten irgendwie kalt), aber Roger hielt sie ganz offensichtlich für eine Sexbombe, und alle Kollegen schienen ihm recht zu geben (mit Ausnahme von Evelyn vielleicht, die sich mit Mode auskannte). Sogar zu dieser Party würden wohl die meisten von ihnen in Gummistiefeln, weit geschnittenen Rollkragenpullovern und albern aussehenden Allwetterparkas erscheinen, die eher für Trekkingtouren im Himalaya geeignet wären; man könnte denken, sie befänden sich alle inmitten eines Schneesturms. Außer Evelyn natürlich. Sie trug eine ärmellose Seidenbluse, einen schmalen schwarzen Rock und diese hochhackigen Lederstiefel, die ihr ausgesprochen gut standen.
    »Das hört sich prima an«, hatte Grigori geantwortet, als sie ihn fragte, ob sie eine Fahrgemeinschaft bilden sollten. Sie hatte genau diese Worte verwendet: »eine Fahrgemeinschaft zu Roger und Hoanh bilden«, als könnte es nicht »langsam« genug für ihn gehen, wenn sie in irgendeiner anderen Form ausdrücken würde, was sie eigentlich sagen wollte: »Möchtest du mit mir zu Roger und Hoanh gehen?« Wie auch immer sie es nannte, ihre Kollegen würden in jedem Fall zu tuscheln beginnen, wenn sie gemeinsam dort auftauchten. Aber die sollten nur reden. Das kümmerte ihn nicht.
    »Ach herrje, ich hatte ganz vergessen, dass man hier die Schuhe ausziehen muss.« Evelyn wirkte verstimmt, als sie die traurigen Reihen von dreckigen Stiefeln, Turnschuhen und Überschuhen mit Salzrändern erblickte, die im Flur auf einer Schicht Zeitungspapier aufgestellt waren. Die Wohnung der Thomsons – ein geräumiges Apartment in der Medfield Street – war gut geheizt, und der offene Kamin verströmte einen würzigen Waldgeruch. »Die Stiefel sind der wichtigste Teil meines Outfits.« Evelyn lachte gutmütig, öffnete den Reißverschluss ihrer schmalen Stiefel und zog sie aus, während Grigori still aus seinen Halbschuhen schlüpfte. Er empfand die Keine-Schuhe-Regel zwar auch als ungastlich, aber irgendetwas hielt ihn davon ab, sich auf Evelyns Seite zu stellen, obwohl er sah, dass sie in ihren hauchdünnenStrümpfen fast zehn Zentimeter kleiner war. »Also, los geht’s«, rief sie und öffnete die Tür. Grigori hatte ein schlechtes Gewissen wegen seiner Kleinlichkeit und hielt die Tür auf, damit Evelyn vor ihm hineingehen konnte.
    »Greg, willkommen, Evelyn, ich grüße dich«, empfing sie Roger und übergab Evelyn einen winzigen Strauß blassrosa Rosenknospen. Dies war Teil der Tradition: kleine Sträußchen für alle Frauen, und auf Rogers und Hoanhs Stereoanlage wurde nur Musik von Künstlerinnen gespielt. An der Tür hing eine gerahmte Erklärung zum Weltfrauentag, und daneben stand eine Spendenbox für den amerikanischen Mädchenhilfsfonds.
    »Mhmm, so kann ich sie die ganze Zeit über riechen«, erklärte Evelyn und steckte sich das Sträußchen vorsichtig an ihre Seidenbluse, während Roger ihre Mäntel an den Garderobenständer hängte. »Danke, Roger.«
    Die anderen Gäste standen in dicken Wollsocken und fusselnden Pullovern herum und tranken Rogers selbst gemachten Kaffeelikör. Erbärmlich, dachte Grigori – obgleich seine eigene Hose auch leicht zerknittert war. Winter in Neuengland … Doch auch Christine war nicht einmal im letzten langen Winter ihrer Krankheit in diesen trägen Trott verfallen, sich täglich in Polyesterfleece zu kleiden.
    Roger rief: »Evelyn, du siehst großartig aus, das muss ich schon sagen.« Es stimmte, die schimmernde Seidenbluse ließ ihre Augen sogar noch mehr strahlen als sonst, und sie nahm stets eine gerade, stolze Haltung ein, im Gegensatz zu so vielen anderen in diesem Raum, die in ihren dicken Pullovern plump und schwerfällig wirkten. »Also, ihr wisst ja Bescheid. Wein und Kaffeelikör stehen hier, Essen gibt es da drüben.« Roger zeigte auf den Tisch unter dem Fenster, entschuldigte sich mit den Worten: »Oh, meine Frau verlangt nach mir«, und ging auf die andere Seite des Raumes, wo Hoanh in ihrem engen Stretchkleid stand, das es irgendwie fertigbrachte, ihr Schambein zu betonen.
    Grigori war froh, dass er nicht mit ihnen reden musste. Er konnte Roger im Grunde nicht ausstehen, der Soziologie lehrte und sich mit solchem Firlefanz wie »sozialen Impulsen« beschäftigte und sogar damit durchgekommen war, ein Seminar über »Freundschaft« zu halten.Seine Falschheit trat einfach zu deutlich hervor, seine gekünstelte Haltung und dieser unangenehm offensichtliche Stolz darauf, einen dünnen, heißen asiatischen Feger dazu

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