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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gewinnen die World Series.« Bill Muir schüttelte erneut den Kopf und ließ darauf einen dieser typischen, ermüdenden Kommentare über den Präsidenten folgen, etwas in der Richtung, dass sie seinen Wahnsinn ja nur noch ein Jahr lang ertragen müssten und ihn dann endlich los wären. Grigori stimmte ihm höflich zu, hörte sich selbst sprechen und Bill antworten – und merkte doch, dass er nicht mit vollem Herzen bei der Sache war. Er war desinteressiert, entmutigt und wusste nicht mehr, wie er mit diesen Menschen, seinen eigenen Kollegen, ein Gespräch führen sollte. Seit wann war das nun schon so? War Christines Tod der Auslöser gewesen, oder hatte sich erst vor kurzem etwas verändert? Vielleicht hatte er zu viele Jahre in diesem Institut verbracht, die gleichen Seminare gegeben und die gleichen Konferenzen besucht, wo er einen Vortrag nach dem anderen über Viktor Elsin und sein Umfeld hielt. Erst jetzt kam ihm all das so unbedeutend vor, auch diese Kollegen um ihn herum, die er zeitweise als seine Freunde betrachtet hatte – jetzt waren sie ihm einfach nur noch egal.
    Bill musste etwas bemerkt haben, denn er entschuldigte sich und zog weiter, während Natalie und Zoltan mittlerweile über den Stierkampf diskutierten, dann über Billie Holiday, und schließlich zu Mallarmé und Verlaine wechselten. Grigori hörte zu, ohne sich am Gespräch zu beteiligen. Ich sollte mich stärker einbringen, sagte er sich. Ich sollte Evelyn suchen und mich mit ihr unterhalten.
    Sie stand nicht weit von ihm entfernt und unterhielt sich mit dem neuen Soziologie-Dozenten, Adam Soundso, der genauso sportlich und gepflegt wirkte wie Evelyn selbst. Ihre Strumpfhose hatte ein Loch, aus dem ein Zeh herausschaute. Selbst aus der Entfernung konnte Grigori sehen, dass sie ihren Nagel in einem dunklen, schimmernden Violett angemalt hatte, so dass er wie ein blauer Fleck aussah. Und obwohl Evelyn die Unterhaltung zu genießen schien, hattesie die Arme vor der Brust verschränkt und hielt ihre Ellbogen mit den Händen fest, als müsste sie sich selbst Halt geben. Grigori empfand eine Woge der Zärtlichkeit für sie. Er sagte sich, dass man Menschen auf viele verschiedene Arten lieben konnte, dass die Liebe ganz unterschiedliche Erscheinungsformen hatte. Mit einem neuen Glas Kaffeelikör in der Hand machte er sich auf den Weg zu ihr.
     
    Achter März, ein Feiertag, auch wenn trotzdem alle arbeiten müssen. Die meisten Männer bringen Blumen mit, aber Viktor hat Nina eine kleine goldene Armbanduhr geschenkt, die der feinste Gebrauchsgegenstand ist, den Nina je gesehen hat. Sie stammt aus der Schweiz, und er hat sie auf seiner Reise nach Frankreich gekauft. Das Band besteht aus einer Goldkette, die so geschmeidig ist wie eine Wasserschlange, und das glänzende Ziffernblatt ist so winzig, dass Nina die Augen zusammenkneifen muss, um die Uhrzeit darauf abzulesen – dass sie kaum zu gebrauchen ist, macht erst den Luxus dieser Uhr aus.
    Nachdem sie sie für die Proben abgenommen hat, legt sich Nina die Uhr nun wieder ums Handgelenk und versucht, den kleinen Verschluss zu schließen.
    »Hier bist du also.« Vera, die schon ihre Straßenkleidung trägt, betritt atemlos Ninas Garderobe. »Gersch hat heute Morgen einen Anruf bekommen – von Stalins Sekretär.« Sie macht eine Pause, als könnte sie es selbst nicht glauben. »Er soll in den Kreml kommen.«
    Nina reißt die Augen weit auf: »Weshalb denn?«
    Vera schüttelt nur den Kopf. »Das kann nichts Gutes bedeuten.« Und mit verzweifelter Hoffnung: »Oder?«
    »Wann ist der Termin? Hat er schon stattgefunden?«
    »Irgendwann heute Nachmittag. Aber ich kann nicht hinübergehen und auf ihn warten, weil Zoja womöglich zu Hause ist.«
    »Ich sage Viktor Bescheid. Zumindest wir beide können in seiner Wohnung sein, wenn Gersch zurückkommt. Und ich erzähle dir alles, was ich herausfinden kann. Das verspreche ich.«
    Also sitzen Nina und Viktor an diesem Abend mit Zoja zusammen in Gerschs Wohnung, als dieser mit einem müden, aber nur leicht verhärmten Gesichtsausdruck aus dem Kreml zurückkehrt. Zoja, die seitStunden schnalzende Missfallenslaute von sich gibt, eilt ihm entgegen: »Was ist passiert, was haben sie gesagt? Hast du ihn getroffen? Hast du ihn gesprochen?« Ihr Tonfall wird bei dem Wort »ihn« ehrfürchtig und begierig.
    »Nur seinen Sekretär. Aber es war im Grunde kein richtiges Gespräch. Er hat mir einfach nur einen Erlass vorgelesen.«
    »Was für einen Erlass?«
    »Nichts

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