Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Haars herauszieht. Sie muss nicht lange suchen. In ein verknotetes Haarbüschel gebettet, findet sie zuerst einen unddann zwei der Gegenstände, die sie hier schon längst hätte vermuten sollen.
    Bald hat sie fünf Steine gefunden, darunter auch ein besonders großer. Madame schnarcht jetzt sogar noch lauter. Nina nimmt sich drei der Steine, bei denen es sich womöglich um Diamanten handelt, einer davon in Form einer Träne, ein anderer in einem gelben Farbton, und steckt sie in ihren Büstenhalter. Als Sicherheit, für später. Die beiden anderen lässt sie auf dem Tisch liegen, damit Madame sie dort findet. Dann zieht sie ihren Mantel an, schnappt sich ihre Tasche und den Schminkkoffer und eilt hinüber ins Bolschoi-Theater, von wo aus sie zum Flughafen gebracht werden soll.
     
    »Warum wollen Sie das wissen?«, fragte Nina in den Telefonhörer. Er kam ihr heute besonders schwer vor, und sein Gewicht lastete direkt auf ihren Fingerknöcheln.
    »Weil Awrim Schlomowitsch Gerschtein aus Moskau im Jahr 1882 der ursprüngliche Käufer von einem Bernsteinanhänger, Armband und Ohrringen war, deren Beschreibungen exakt auf den Schmuck in Ihrer Sammlung passen, sowie von einer dazugehörigen Brosche und Haarnadel.« Drew Brooks klang heute anders als sonst, ihre Stimme war nahezu zittrig. »Wenn dieser Name im Stammbaum Ihres Ehemannes auftaucht«, fuhr sie beinahe schüchtern fort, »können wir mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass es sich bei den im Archiv des Juweliers aufgeführten Schmuckstücken um dieselben handelt, die Sie besitzen, und somit auch davon, dass der Anhänger tatsächlich zum Set gehört.«
    Nina fühlte ein schreckliches Summen in den Ohren.
    »Gerschtein«, wiederholte Drew langsam, als wäre Nina schwerhörig.
    Hatte Gersch sie Viktor gegeben, oder hatte Viktor sie ihm abgekauft? Nina sah immer noch Madames hämisch verstohlenes Lächeln vor sich.
Viktor wollte sie in meinem Zimmer verstecken.
Ihre gespielte Überraschung, als sie merkte, dass sie ein Geheimnis ausgeplaudert hatte. Was, wenn Viktor sie für Gersch versteckt hatte? Nicht für sich selbst, nicht für Nina. Was, wenn sie von Gersch für Vera waren?
    »Miss Rewskaja?«
    Nina musste die Augen schließen. Natürlich hatte Viktor den Bernsteinschmuck nicht vor Nina »versteckt«, sondern vor jedem, der die Wohnung betrat, da man Wertgegenstände eben an einem sicheren Ort aufbewahrt. Ja, natürlich. Aber warum hatte er Nina dann nichts davon erzählt? Vielleicht hatte er es ja vorgehabt. Womöglich hätte er es getan, wenn Nina gerade zu Hause gewesen wäre, als er den Schmuck von Gersch mitbrachte. Aber dann waren ihnen wichtigere Dinge dazwischengekommen: Gerschs Verhaftung, seine Verurteilung, seine Verlegung in ein psychiatrisches Gefängnis …
    Der Schmerz in Ninas Brust war kaum noch zu ertragen. Wenn Gersch der Vater des Kindes war – das allein würde Veras Verhalten erklären. Was bedeuten würde, dass sie Gersch wirklich im Gefangenenlager besucht hatte. Sie musste tatsächlich allein bei ihm gewesen sein, ohne Viktor, der also nur die Wahrheit gesagt hatte.
    Oh, Viktor.
    Oder war es so, dass Vera sich
damit
ihren Besuch bei Gersch erkauft hatte: Gefälligkeiten für Serge? Der widerwärtige Serge, damals auf dem Bürgersteig. Welch gefährliche Fügung des Schicksals.
    Aber nein, wenn Serge der Vater des Kindes gewesen wäre, hätte Vera es sicher nicht behalten. Aber vielleicht war sie sich ja auch nicht sicher, von wem sie schwanger war.
    Aber wenn es tatsächlich von Gersch war …
    »Miss Rewskaja!«
    Gerschs Sohn, und Veras – und Nina hatte nichts für ihn getan, hatte einfach kehrtgemacht, war aus dem Krankenhaus geeilt und hatte ihn dort zurückgelassen. Obwohl ich seine Eltern besser kannte als sonst irgendjemand … Viktor und ich waren seine einzige Verbindung zu ihnen.
    »Ich werde jetzt auflegen und einen Krankenwagen rufen.«
    »Nein. Bitte. Ich brauche keinen Krankenwagen.« Aber sie spürte ihr Herz rasen, und ein schreckliches Gefühl der Panik überkam sie. Gegen das Schicksal konnte man wohl nichts ausrichten. Aber, ach, Vera. Lieber Gersch. Und Viktor …
    »Geht es Ihnen wirklich gut?«
    »Bitte. Warten Sie nur einen Moment. Lassen Sie mich … nachdenken.« Aber nein, es war kein
Schicksal
. Wie hatte sie das bloß übersehenkönnen? Serge direkt vor ihrer Nase … Kein Schicksal, sondern eine Tatsache. Misstrauen, Geflüster und Geheimnisse überall. Die Welt um sie herum: jeden Tag ein

Weitere Kostenlose Bücher