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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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er auf verschiedenen Tagungen gehalten hatte. Daher hatte er Ninas Weigerung, ihm zu helfen – damals, vor vielen Jahren, als er in seiner Funktion als Wissenschaftler und Professor an sie herangetreten war –, nicht annähernd so persönlich genommen wie ihre Zurückweisung, als er noch ein junger, naiver Collegestudent gewesen war. Damals, als er dort in dem Windfang gestanden und darauf gewartet hatte, dass sie herunterkam …
    Auf die Klingel zu drücken, als würde man eine Bombe zünden …
    Grigori schloss die Augen. Wenn er doch nur die Wahrheit wüsste. Solange er seine Geschichte nicht kannte, würde er nie ganz er selbst sein.
    Er seufzte. Der Bernsteinanhänger würde also in ein Labor geschickt werden. »Um sicherzustellen, dass es sich nicht um Kopal oder eine Nachbildung handelt«, hatte die junge Frau von Beller bei ihrem Treffen gesagt. Sie besaß eine angenehme, sachlich-nüchterne Art, die eine beruhigende Wirkung auf Grigori hatte. »Das ist wirklich nur pro forma«, hatte sie ihm versichert. »Bei so seltenen Fassungen wie diesen besteht kaum ein Zweifel daran, dass es sich um echten Bernstein handelt. Doch wie sagt Lenore immer so schön: Wenn sie zwei Jahrzehnte in diesem Geschäft etwas gelernt haben, dann, dass selbst mit den besten Sammlungen etwas nicht stimmen kann.«
    »Nicht stimmen?«, hatte Grigori entsetzt gefragt.
    »Fälschungen, Nachahmungen. Niemand ist davor gefeit, reingelegt zu werden.«
    Reingelegt. Bei dem Gedanken an ihre Worte konnte Grigori nicht anders, als sich zu fragen, ob er nicht vielleicht selbst all die Jahre zum Narren gehalten worden war.
    »Ganz besonders, wenn es sich um ein Schmuckstück aus dieser Epoche handelt«, hatte die Frau ihm erklärt. »Erinnerungsstücke waren im Viktorianischen Zeitalter äußerst beliebt, und Bernsteine mit Einschlüssen waren am begehrtesten. Die Nachfrage stieg rasant an – Imitate kamen auf den Markt. Aber ich sage es gern noch einmal: Wir zweifeln nicht an der Echtheit des Steins, sondern möchten lediglich im Katalog angeben können, dass wir diese überprüft haben. Mit etwasGlück wird uns das Labor, aufgrund der besonderen chemischen Zusammensetzung von Baltischem Bernstein, sogar sagen können, woher der Stein stammt.«
    Es war im Laufe dieses Gesprächs gewesen, dass Grigori den Anhänger erstmals bewusst als ein Schmuckstück mit eigener privater und organischer Vergangenheit wahrgenommen hatte. Eine gemmologische Schöpfung der Natur, die mit menschlicher Seelenqual nichts zu tun hatte.
    Bis dato war es für ihn lediglich ein Indiz gewesen.
    In gewisser Weise hatte ihm der Anhänger immer das Gefühl gegeben, ein Fetischist zu sein – nicht unbedingt, weil es sich um Frauenschmuck handelte, sondern wegen der Bedeutung, die er ihm beigemessen hatte, und wegen der beinahe unerträglichen Last, als die er seinen unbestätigten Verdacht empfand. Christine war der einzige Mensch gewesen, der davon gewusst hatte. Sie hatten zusammen in seiner Mietwohnung auf dem Boden gesessen – damals, vor all den Jahren, in dem großen klapprigen Haus am Fluss in Cambridge –, und Grigori hatte ihr alles erzählt, was er anhand der Informationen, die er besaß, zusammengefügt hatte, und ihr die wenigen Beweisstücke gezeigt. Als sie den Bernstein das erste Mal berührte, tat sie das mit einer kleinen, streichelnden Bewegung, fast so, als berühre sie ein Lebewesen. »Irgendwie unheimlich, findest du nicht auch?« Sie legte sich den Anhänger in die Handfläche und fühlte sein Gewicht. Dann fragte sie: »Darf ich ihn anprobieren?«
    Warum hatte ihn das überrascht? Er war nie auf den Gedanken gekommen, dass ihn irgendjemand tatsächlich je tragen könnte. »Sicher«, sagte er widerwillig, aber dennoch gelassen genug, damit Christine sein Zögern nicht bemerkte. Sie beugte sich vor und griff nach hinten, um ihre Haare anzuheben, während Grigori ihr die Kette umlegte und an dem Verschluss herumfummelte. Seine Hände berührten ganz leicht ihren Nacken, und er konnte die Seife riechen, die sie immer benutzte, Rosenduft aus Chinatown. »Okay«, sagte er, und sie drehte sich um, damit er sich die Kette ansehen konnte.
    Sie stand ihr nicht. Christine sah das genauso. »Das ist der Grund, warum ich nur Silber trage«, erklärte sie, während sie sich in dem großen Spiegel, der an der Schlafzimmertür hing, betrachtete. »Goldpasst nicht zu meinem Teint. Und Bernstein wohl auch nicht, wie mir scheint.«
    Grigori war nun ebenfalls

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