Die Tänzerin im Schnee - Roman
Eine eiserne Waschschüssel. Ein Stapel Feuerholz neben dem Kachelofen mit dem langen Ofenrohr. Angelruten aus Haseltrieben in einer Ecke. Holzstühle mit Rohrgeflecht, Petroleumlampen, ein Samowar aus Kupfernickel. Metallene Bettgestelle mit harten Strohmatratzen. Überall Ruß von den vielen Kerzenstumpen. Die Banja ist hinter dem Haus, so dass man von dort direkt zum Fluss gehen kann.
Nina liebt das Geräusch nackter Füße auf dem Holzfußboden – ungefedert, aber zum Üben wird es reichen. Die Sonne scheint schon morgens um drei durch die ausgefransten Vorhänge und blinkt nachmittags zwischen den Bäumen hindurch. Fröhlich lärmende Elstern und Spatzen. Gemeinsame Mahlzeiten im Schatten der Fichten, Wasser frisch von der Quelle, feuchter Boden unter den Füßen, die köstliche Waldluft, der grüne, kühle Fluss.
Das Abendlicht huscht in goldgelben Münzen über das Wasser. Es gibt gemeinsame Volleyballspiele und Wettschwimmen im Fluss, und im Freizeitzentrum werden auch viele Gruppenaktivitäten angeboten, aber Nina und die anderen bleiben lieber still unter sich. Viktor hat sich vorgenommen, jeden Tag ein Gedicht zu schreiben, und Gersch pfeift ständig vor sich hin; er arbeitet an einem neuen Stück. Vera summt mit und sitzt oft einfach nur neben ihm, oder sie liest, die langen Beine untergeschlagen, bis sie abends die erste Petroleumlampe anstecken muss. Nina fragt sich, ob es Vera genauso guttut, Ninas Mutter nicht zu sehen, wie sie es genießt, von Viktors wegzukommen, die so lange von der armen Darja weiter versorgt wird. Ninas Mutter macht ihre Runden allein und besucht Freunde am Silbersee.
Und so verbringen sie einen Monat in vollkommener Unbeschwertheit, von allen Pflichten befreit, mit langen Nachmittagen auf der Terrasse, wo sie lange und ziellos nur reden, bis jedes Gesprächsthema ungeklärt in der Luft zerrinnt. Wildblumen würzen die frische Brise, Schmetterlinge taumeln vorüber – nicht so schillernde wie auf der Hutnadel, die Viktor Nina zum ersten Hochzeitstag geschenkt hat, aber auf ihre Art nicht weniger prachtvoll mit ihren fast durchscheinenden, farbenfroh gefleckten Flügeln. Gersch und Viktor verbringen Stunde um Stunde mit gutmütigen Streitereien auf Korbstühlen auf der Terrasse und sehen in ihren gestreiften Schlafanzügen sehr behaglich aus. Gersch zieht Viktor damit auf, dass er sich »Verdienter Künstler« nennen darf. Das ist einer der Titel, die es noch nicht lange gibt und die in allen möglichen Sparten vergeben werden, nicht nur in den Bildenden Künsten. »Schäbige Lockmittel« nennt Gersch sie und erinnert an einen Sänger, den sie beide kennen, der fortwährend ganz Russland bereist, um so viele Titel wie möglich einzuheimsen. Allerdingssorgt jener »Verdiente Künstler« dafür, dass Viktor ins Ausland reisen und sich eine Datscha leisten kann. Wenn er oder Nina je mit dem Titel »Volkskünstler« geschmückt werden – dem höchsten, den es gibt –, winken ihnen noch mehr Vergünstigungen.
»Du weißt genau, dass ich überhaupt nichts gegen volkstümliche Unterhaltung einzuwenden habe«, sagt Viktor, der offensichtlich auf eine Konfrontation aus ist. Er liebt diese Diskussionen mit Gersch, auf die sich viele andere nie einlassen würden. »Was nützt es, noch so schöne Kunstwerke zu erschaffen, wenn sie dem Volk nichts bedeuten? Wenn sie das Volk nicht einmal erreichen?«
»Du klingst schon wie Zoja!«, schimpft Gersch, genau wie es Viktor vermutlich erwartet hat. Heute kann er sie erwähnen, weil Vera einen ihrer langen Spaziergänge macht und Pilze sammelt. Nina steht, eine Hand auf dem Eisengestänge, am Tor und geht ihr Übungspensum durch. Sie hat keinen Tag ausgelassen. Schon eine Woche Nichtstun könnte ihr Blutergüsse und Muskelschmerzen einbringen, sobald sie sich wieder anstrengen müsste.
»Also bitte, diese utilitaristische Haltung zur Kunst dreht mir den Magen um«, sagt Gersch. »Das weißt du doch.«
»Warum gibst du dich überhaupt noch mit ihr ab?«, ruft Nina.
»Mit wem?«
»Mit Zoja.«
»Sie steht mir gut zu Gesicht, findest du nicht?«, sagt Gersch. Lispelnd und eine Oktave höher fügt er hinzu: »Ein aufrechter Genosse, sage ich immer. Vorbildliche Gesinnung und alles. Wirklich absolut verdienstvoll.«
Nina lacht nicht; Gersch wirkt trotz seiner spöttischen Haltung angespannt. Vielleicht begreift er Zojas Zuneigung wirklich als eine Art Gütesiegel. Die antisemitischen Äußerungen reißen nicht ab, die hetzerischen
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