Die Tätowierung
Bell und Heidi.
Bell war Isabell Lind. »This is an actual photo of our models that you are able to m eet here in Copenhagen – guaranteed or m oney b a ck!«
Irene wurde es ganz anders. Das Mädchen mit dem Sch m oll m und, das sich h i er f eilb o t , h atte m it ihr e r Tochter gespi e lt.
Mit einer Kraftanstrengung zwang sie sich weiterzulesen. » W e and our f r iends are always ready to visit you. O r alternatively are you welco m e to visit us at our newbuilt, luxurious, 100% safe & discreet studio. W e are located in the bea u tiful ce n tral Nyhavn area of the city.« Die A dresse lautete Store Kongensgade.
Nach langem Suchen fand Irene die Straße auf dem winzigen Stadtplan auf dem Umschlag der Broschüre. Die Buchstaben waren klitzeklein und unscharf. Konnte es sein, dass sie bereits eine Lesebrille brauchte? Das war doch eher w as für alte Tante n ? Irene m usste den Stadtplan m it ausgestreckten Ar m en unter die Schrei b tisc h la m pe halten, um überhaupt etwas erkennen zu können.
Store Kongensgade lag hin t er Kongens Nytorv. W enn m an von ihrem Hotel ka m , war das genau die entgegenge s etzte Ric h t u ng zu Vesterbro. Sie würde also erst zu Tom Tanaka gehen und dann die S candinavian Models besuchen. Schwer zu sagen, welcher der beiden Besuche ihr unangenehmer war.
Erst ein m al war es wic h tig, n icht allzu viel Aufsehen zu erregen. Für eine ein Meter achtzig große Frau war das leichter gesagt als getan.
Sorgfältig entfernte Irene a l les Make-up. Ein paar M al m it ein e m nassen Kamm durch ihr kurzes Haar gezogen, ergab eine androgyne Frisur. Dann zog sie Jeans und Joggingschuhe an und wählte statt der Jacke den kurzen Trench. Ein m al, weil ihn auch Männer tragen konnten, und dann auch, weil es im m er no c h regnete. Das W etter war ausgezeichnet für Haa r e, die ric h tig platt und langweilig aussehen sollten. Sie b etrachtete s i ch noch ein m al ein g ehend in de m Spiegel auf der Innenseite der Kleiderschranktür. Die Gefahr, dass sie groß auffallen würde, war m i n i m al.
Es hatte aufgehört, zu r e gnen. Stattdessen w e h t e e i n feuchtkalter W i nd vom Meer. Ire n e wünschte sich, sie hätte Handschuhe m itgenom m en, aber daran dachte m an nicht, wenn m an Mitte Mai sei n e Sachen p a ckte. Sie vergrub ihre Hände in d e n Manteltaschen und schlug gegen den W i nd den Kragen hoch. In der Nähe des Tivoli waren noch eine Me n ge Leute u nterwegs. Die vielen Restaurants und Bars waren voll und wirkten sehr einladend auf alle, die bei diesem unangenehmen W etter unterwegs sein m ussten.
Je näher sie der Colbjørnsensgade ka m , desto weniger Lust hatte sie, eines der Lokale zu b etr e t en. Alle Schild e r priesen Go-go-Girls, Striptease und »the best sexshow in town« an. Nicht dass sie p r üde gewesen wäre oder die Angebote der Sexindustrie nicht schon früher zur Kenntnis genommen hätte. Nach zwanzig Ja h ren als P o lizistin h atte sie alles g e s ehen. Aber das Überan g ebot in diesen Vierteln schien sie f ör m lich zu erschlagen. Und nicht zuletzt die abgebrühte Rekla m e und die Menschenverachtung.
Wa s hatte n di e anget r unkene n Männer , di e s c hwankend un d g r öhlen d au s dies e n Etabliss e ment s stolperte n od e r versucht e n , möglichs t ungeseh e n h i neinzukommen , wohl fü r ei n Fr au enbild ? Un d wa s hatte n di e Fraue n fü r ei n Bild vo n si c h se lb st ? Beeinflu s st e si e selbs t da s alle s e t w a a uch?
Bei dieser letzten Frage bli e b sie stehen und dachte nach. Ja, sie fühlte sich als Fr au gekränkt und erniedrigt. Dieses Gefühl erstaunte sie, a b er so e m pfand sie es wirklich. Sie dachte an ihre zwei schönen und eigensinnigen Töchter. Würden sie in den Augen vieler Männer zu dem reduziert werden – einem Fick?
Irene spürte Zorn in sich aufsteigen und m erkte, dass sie die letzten Schritte zu T o m Tanakas Gayshop schneller ging, die Wut beflügelte ihre Schritte.
Vielleicht war es die s e W ut, die sie die T ü r hefti ge r au f reißen ließ, als sie das beabsichti g t hatte. Alle im Laden drehten sich zu ihr u m . Es w a ren jetzt m e hr Kunden als am Nach m ittag. Tom Tanaka stand flankiert von E m il hinter dem Verkaufstresen. Mit festen Schritten ging Irene quer durch den Laden und begrüßte Tanaka und E m il. Der junge Mann schaute schnell z u r Seite. Nervös strich er sich m it dem Unterarm über seinen Spitzbart und Mund.
In einer Hand hielt er ein Schinkenbaguette und in
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