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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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schätzte ich hastig, dass wir nur noch wenige Augenblicke zu leben hatten – vor allem, weil wir das Feuer noch nicht erwiderten.
    Aber dann bemerkte ich, dass all die vielen auf uns abgefeuerten Geschosse jäh von ihrem Ziel abschwenkten, kurz bevor sie den sich konisch verjüngenden, runden Rumpf des Schiffes erreichten, das mit seinen beiden Klappflügeln und dem leuchtenden »Kopf« in gewisser Weise an einen riesigen Fliegenden Fisch erinnerte. Tressalian sah meinen verwirrten Gesichtsausdruck (er war offenbar ebenso einfühlsam wie seine Schwester), legte dann die Hand an seinen Hemdkragen und begann, mit Larissa zu sprechen. Ich erkannte, dass es sich um ein chirurgisch implantiertes Kommunikationssystem handelte, über das die beiden eine sichere Verbindung zueinander herstellen konnten.
    »Schwester? … Ja, Dr. Wolfe ist hier und schaut erwartungsfroh zu. Aber denk daran, wir fliegen auf direktem Wege zur Küste, es besteht also keine Notwendigkeit zu exzessiver … Larissa?« Mit einem nachsichtigen Kopfschütteln nahm Tressalian die Finger vom Hals, dann deutete er auf die Szene, die sich um uns herum abspielte. »Ich schlage vor, Sie schauen zu, Doktor – dies geschieht offenbar ausschließlich Ihretwegen.«
    Noch während er sprach, eröffnete die große Rail-Kanone im Geschützturm das Feuer; sie spie Ketten von Projektilen, die im entsprechenden Maßstab größer waren als jene, die Larissa aus ihrer Handfeuerwaffe abgeschossen hatte. Die Kanone schwenkte von einem Verfolger zum nächsten, und die mannigfaltigen Muster der Zerstörung, die sie dabei anrichtete, waren ein Ehrfurcht gebietender Anblick: ein präzise platzierter Schuss konnte das Rad eines Hummers oder das Geschütz eines Geronimos abreißen, eine breiter gestreute Salve dagegen verwandelte sowohl Boden- als auch Lufteinheiten in Schrapnelle – und menschliche Körperteile. All das, so hatte Tressalian zumindest behauptet, geschah meinetwegen: Larissa wollte mich nicht nur mit ihren Flug- und Kampfkünsten beeindrucken, sondern mir offenbar auch klarmachen, dass ich in einen tödlichen Konflikt geraten war. Aber worum ging es dabei?
    In meinem Innern machten sich die unterschiedlichsten Gefühle breit: Erregung, Entsetzen, und, ja, auch eine gewisse Befriedigung (angesichts der Tatsache, dass hinter unseren Verfolgern zweifelsohne eben jene Leute standen, die Max getötet hatten); dennoch war ich noch klar genug im Kopf, um neugierig zu sein. »Ihre Geschosse«, sagte ich. »Sie erreichen uns nicht.«
    »Wer den Elektromagnetismus beherrscht, so sagt man, beherrscht die bekannten Kräfte unseres Universums«, erklärte Tressalian. »Ich will nicht behaupten, dass ich dieses Gebiet schon gemeistert habe, aber wir verfügen über ausreichende Kenntnisse, um Felder projizieren zu können, die weitaus komplexere Formen der Materie als Geschosse veranlassen, ihr Verhalten zu ändern. Doch auch ohne diese Felder wären wir kaum in Gefahr – der Aufbau und die Hülle des Schiffes, sogar ihre transparenten Sektionen, bestehen aus hoch entwickelten Verbundharzen. Sie sind härter und viel leichter als erstklassiger Stahl von weitaus größerer Dicke.« Tressalian hielt einen Moment inne, sah mich aber weiterhin an. »Sie sind zweifellos entsetzt«, sagte er schließlich. »Aber glauben Sie mir, wenn die Staaten der Welt uns eine Wahl gelassen hätten …«
    »Der Welt ?«, echote ich leise. »Aber ich dachte …«
    »Oh, unser Tätigkeitsbereich ist durchweg global. Kommen Sie, Doktor, schauen Sie sich das an.« Tressalian drehte sich um und humpelte zu einer Reihe von Monitoren hinüber, die auf einem niedrigen Tisch in der Mitte der Aussichtskuppel aufgebaut waren. »Vielleicht verstehen Sie dann besser.«
    Gleich darauf sah ich ein halbes Dutzend Bilder einer beachtlichen militärischen Streitmacht vor mir, die ganz offenkundig zu einem Einsatz unterwegs war: Schiffe auf dem Meer, ferngesteuerte Jagdbomber, deren gespenstische Cockpits bis auf die Computerausrüstung völlig leer waren, und Flugzeugträgerbesatzungen, die noch mehr Kampfflugzeuge mit Bomben und Raketen bestückten.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Der Grund für die Ermordung Ihres Freundes Mr. Jenkins«, antwortete Tressalian. »Eine amerikanische Spezialeinheit auf dem Weg zu einem zweifellos massiven Angriff.«
    »Gegen wen? Wohin wollen sie?«
    »Dorthin, wohin auch wir wollen – nach Afghanistan.«

11
    A fghanistan?«, fragte ich wie vom Donner gerührt. »Aber

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