Die Täuschung
Friedenstruppen vom Balkan gezwungen, und der in dieser Region herrschende Hass war erneut entflammt. Die Europäische Union, feige wie immer, wenn es nicht um Geld, sondern um Leben ging, hatte sich geweigert, die von den Amerikanern hinterlassene, kostspielige Lücke zu schließen, und sogar den einzigen Mitgliedsstaat, der dazu bereit gewesen wäre – Großbritannien –, aktiv daran gehindert. So kam es, dass der Balkan ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch Massaker und Vergeltungsschläge in einem Ausmaß erdulden musste, wie man es seit Generationen nicht mehr erlebt hatte.
Um zu zeigen, wie wenig die Entwicklung der Informationstechnologie dazu beitragen konnte, solche uralten Feindseligkeiten zu entschärfen, ersann Malcolm einen neuen Streich. Zu dessen Verwirklichung holte er sowohl Fouché, unter dem er und die Kupermans in Yale studiert hatten, als auch Tarbell in sein Team, letzterer ein fähiger Wissenschaftler und Gelehrter – und ein Meister auf dem Gebiet des Fälschens mit modernsten Mitteln. Vielleicht ist es schwer zu glauben, dass die großen Trennlinien, die Europa nach wie vor prägen, durch ein paar Blatt Papier in Bewegung gerieten, die der stämmige, sympathische Fouché und der hektische, ausgelassene kleine Tarbell produziert hatten; doch ich kann nun berichten, dass es tatsächlich so war. Julien nutzte seine Fähigkeiten, um etwas Tinte und Papier auf molekularer Ebene so zu manipulieren, dass sie hundert Jahre alt wirkten, und Tarbell erstellte daraufhin mit diesem Material und einem von Malcolm diktierten Text eine Reihe fiktiver Briefe des britischen Staatsmanns Winston Churchill, gerichtet an niemand anderen als Gavrilo Princip, jenen serbischen Nationalisten, der den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand erschossen und damit die Kette von Ereignissen ausgelöst hatte, die zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914 führte. Die Briefe »enthüllten«, dass der Serbe Princip ein britischer Agent und das Attentat ein von dem seit jeher als gerissen geltenden Churchill und mehreren anderen britischen Führern geschmiedetes Komplott gewesen war mit dem erklärten Ziel, einen Krieg vom Zaun zu brechen, der, wie sie glaubten, mit dem Triumph und der Ausweitung ihres Empires enden würde.
Das war eine noch weitaus abstrusere Idee als die Sache mit dem Narrenkongress. Dennoch – und das war der entscheidende Punkt – führte Malcolms schnelle und gründliche Manipulation sämtlichen Materials über die »Entdeckung« der Briefe im Internet und allen nebengeordneten Informationssystemen auch diesmal wieder dazu, dass sie als echt akzeptiert wurden. Und dies lange bevor aufmerksame Beobachter skeptischere oder wissenschaftlich fundiertere Meinungen vorbringen konnten. Die Deutschen schnappten gierig nach dem Köder, den Tressalians Team ausgelegt hatte, indem sie erklärten, solange London sich nicht von Churchill distanziere und die vollständige Verantwortung für den Krieg übernehme, bleibe ihr Platz in den Sälen der europäischen Macht neben den Briten leer. Frankreich nutzte ebenfalls die Chance, Entrüstung zu heucheln, genauso wie jedes andere Land, das an dem Konflikt beteiligt gewesen war. Die Briten wiederum zeigten sich nicht bereit, die Dämonisierung ihres größten Helden des zwanzigsten Jahrhunderts hinzunehmen; und so tat sich mit lautem Knirschen der erste von zahlreichen dramatischen Rissen in der Union auf. Stürmische Demonstrationen und etliche Kriegsdrohungen waren die Folge.
Selbst Malcolm hatte nicht mit der Heftigkeit der Reaktionen gerechnet, die sein »Europa-Werk« hervorrief, ebenso wenig wie mit der Gefahr, in die er und sein Team geraten waren. Nicht nur Polizei und Wissenschaftler, sondern auch diverse europäische Sicherheitsdienste – allen voran der britische – begannen, Untersuchungen durchzuführen; und niemand in der Gruppe wollte mit einer SAS-Kugel im Kopf enden. Als Malcolm klar wurde, dass sie jetzt auf einem neuen und weitaus tödlicheren Feld spielten, beschloss er, sich jemanden zu holen, der ihm dabei half, seine Arbeit als das zu organisieren, was sie anscheinend geworden war: ein Feldzug.
Er prüfte die Dossiers unzufriedener Offiziere in aller Welt, aber schließlich war es Larissa, die ihren Bruder auf Colonel Justus Slayton aufmerksam machte. Und mit der Antwort auf die Frage, wieso sie den Kontakt zwischen den beiden herzustellen vermochte, erfuhr ich etwas, das mich schockiert zurückschrecken ließ:
Nachdem sie ihre
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