Die Täuschung
Mechanismen änderten, die das Lernen und Erinnern steuerten. Verantwortungsbewusste Forscher schirmten sowohl ihre Arbeit als auch deren noch keine gesicherten Schlüsse zulassenden Ergebnisse vor der Öffentlichkeit ab und riefen den Neugierigen die ewige biologische Wahrheit ins Gedächtnis, dass Mäuse keine Menschen sind. Aber schließlich kamen doch Gerüchte über die Forschungsarbeiten in Umlauf, und es dauerte nicht lange, dann wurden unverantwortliche Spekulationen über die Möglichkeit angestellt, menschliche Kinder genetisch zu behandeln – ob im Mutterleib oder nach der Geburt –, damit sie Informationen besser verstehen und speichern könnten.
Wenn der Preis stimmte, ließen sich damals – wie zu jeder anderen Zeit – Wissenschaftler finden, die sich eine Chance zum Experimentieren ersehnten, selbst wenn es illegal war. Und so kam es, dass Malcolm im Alter von nur drei Jahren in einer kleinen Privatklinik in Seattle landete, der Heimatstadt seiner Familie. Die offizielle Erklärung, die Stephen Tressalian und der von ihm ausgewählte Gentherapeut mit beinahe unglaublicher Gerissenheit lieferten, war eine Attacke der neuen Art antibiotikaresistenter bakterieller Enzephalitis, die in verschiedenen Teilen der Welt aufgetaucht war. In gut einstudierten, absolut überzeugenden Verlautbarungen, die weit verbreitetes öffentliches Mitgefühl auslösten, verkündeten Tressalian und seine gleichermaßen ehrgeizige Frau tränenreich, Malcolm sei so schwer erkrankt, dass er mit einem dauerhaften neurologischen Schaden aus der Klinik kommen könne: angesichts der Experimente, die mit seinem Geist vorgenommen werden sollten, natürlich eine echte, keineswegs von der Hand zu weisende Möglichkeit.
Es fröstelt mich immer noch, wenn ich daran denke, wie diese Wochen gewesen sein müssen. Anfangs schien bei den Behandlungen alles gut zu gehen, und Malcolm zeigte eine radikal erweiterte geistige Kapazität. Allein das wäre für einen Dreijährigen wohl verwirrend genug gewesen. Doch dann schien sein Körper im weiteren Verlauf der Injektionen zu rebellieren. Grundlegende Funktionen – Atmung, Verdauung, Gleichgewichtssinn – wurden beeinträchtigt, und er bekam unerklärliche Anfälle von Kopfweh und schrecklichen organischen Schmerzen. Der Gentherapeut hatte seine eigene Theorie, woher das kam: Das menschliche Gehirn besitze keine unendlichen Ressourcen, erklärte er Stephen Tressalian, und wenn so viel neuronale Aktivität auf die höheren Funktionen verwendet werde, könne es durchaus sein, dass die vegetativen Systeme ausgehungert würden. Aber er war kein Arzt, und Tressalian verfolgte seinen Plan mit zu großem Eifer (und hatte zu viel Angst davor, erwischt zu werden), um fachärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Außerdem wuchsen die Geisteskräfte des Jungen trotz all der schrecklichen Nebenwirkungen weiterhin mit exponentieller Geschwindigkeit und brachten Resultate hervor, die schließlich sogar seinen Vater zufrieden stellten. Nach drei Monaten beendete Stephen Tressalian das Projekt und redete sich selbst, seiner Frau und jedem anderen Mitwisser ein, es sei ein Geschenk für seinen Sohn wie auch für die Genforschung und die Zukunft der Menschheit gewesen.
Was machte es schon, dass Malcolm bei seiner Entlassung aus der Klinik – er hatte sich zwei Mitleid erregende kleine Krücken unter die Arme geklemmt, weil seine Beine auf einmal den Dienst versagt hatten, und seine Haare waren mysteriöserweise fast silbern geworden – einer Schar von Reportern gegenüberstand, deren entsetzte Mienen er durchaus richtig interpretierte; dazu war er jetzt wahrhaftig klug genug. Wichtig war allein, dass der Junge hochintelligent sein würde – nein, hochintelligent war –, und dass Stephen Tressalian das nächste Mal, wenn er sich an einem derartigen Experiment versuchte, mit genügend Daten gewappnet sein würde, um ein weitaus besseres Ergebnis zu erzielen.
Denn es würde ein nächstes Mal geben. Bald nach Malcolms Entlassung wurde seine Mutter erneut schwanger, und diesmal war sie es, die in die Privatklinik ging; Stephen Tressalians Genexperte war nämlich zu dem Schluss gekommen, dass Malcolms negative Reaktion auf die Therapie mit seinem vergleichsweise fortgeschrittenen Stadium der körperlichen Entwicklung zusammenhing. Der Fötus der zukünftigen Larissa bekam einen verbesserten Satz von Injektionen in utero verabreicht, und die Änderung schien das erwünschte Ergebnis zu liefern: Bei ihrer
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