Die Tage sind gezählt
gewesen, und die Panik der Abgehörten beim Auftauchen des Raaff hatte ihn schwer mitgenommen. Glücklicherweise war das Positronengehirn sofort in Aktion getreten und hatte die aufgefangenen Impressionen selektiert und abgeschwächt. Das war seine Rettung gewesen, denn das Abhorchen auf diese große Entfernung erforderte den Einsatz von Konzentratoren, die die Empfindlichkeit seiner Gehirne verzehnfachte. Er würde nun nicht mehr in der Lage sein, sein Talent in den nächsten Stunden einzusetzen. Das Risiko einer Überlastung konnte und durfte er nicht eingehen.
Die Alphor schwenkte aus ihrem Orbit und tauchte in die dünne Atmosphäre des Planeten ein.
Die Musik durchdrang seinen Körper, kribbelte wie Elektrizität in Fingerspitzen und Gehirn. Es war eine entfesselte Urkraft und zugleich die Zärtlichkeit der ersten Liebe. Eine Erinnerung an milde Sommer und tiefblauen Himmel.
Als die letzten Noten und Farben seiner Sinfonie erstarben, saß Vronc über sein Musifon gebeugt. Mit geschlossenen Augen bebte sein Körper wie ein bis zum Äußersten gespannter Bogen. Die letzten Zuckungen erstarben. Er entspannte sich.
Donnernder Applaus hüllte ihn ein. Es war nur ein schwacher Trost für den unbestimmten Verdruß, der sich in ihm breitmachte. Er löste die Kontakte des Musifons von seinen Fingern und konzentrierte sich auf seine Kollegen im Unterhaltungsraum.
Claudan hing völlig schlaff in seinem Protosessel, der sich elektronisch an jede Körperhaltung anpaßte. Sein scharfgeschnittenes Gesicht hatte den gleichen andächtig-gespannten Ausdruck wie immer. In seinem Blick lag Eifersucht. Mehr als einmal hatte er versucht, auf dem Musifon zu spielen. Ohne Erfolg. Das Instrument fing Gedankenimpulse auf und setzte sie in Töne und Farben um, während mit den Fingern die Lautstärke und Schattierung bestimmt wurde. Die Bedienung des Musifons erforderte eine enorme Musikalität und gleichzeitig ein fast schizophrenes Konzentrationsvermögen. Beides ermöglichte es dem Spieler, zur gleichen Zeit alle Instrumente, die er hören wollte, in einen harmonischen Einklang zu bringen, natürlich mit den dazu passenden Farbvariationen. Nur wenige Träumer, wie Vronc, der nichts liebte als seine Musik, waren wirklich in der Lage, auf diesem Gerät eine Sinfonie zu erzeugen.
Vegal saß links von Claudan. Sie hatte sich in ihrem Protosessel nach hinten gelehnt. Das Fransenkleid, das nur mit einem Ring an ihrem Hals befestigt war, fiel nach allen Seiten herab und entblößte ihre schlanken Beine. Sie hatte sich vor kurzem einige Mikrofilme aus der Stadtbibliothek über das 22. Jahrhundert auf Cappeli angesehen und danach konzentrisch aufsteigende Kreise auf ihre Beine gemalt, die sich an ihrem gutgeformten Körper hochkringelten, während weiße Sterne ihre Brustwarzen krönten. Ihre mit Spiralringen geschmückte Hand lag auf Claudans Lehne, als erwartete sie, daß er die seine darauflegte. Vergebens. Er hatte sich schon in die mit monotoner Regelmäßigkeit nach Vroncs Konzerten stattfindende Diskussion eingeschaltet.
»In der Tat«, sagte er enthusiastisch, »ist jede neue Sinfonie stärker und beeindruckender als die vorherige. Ich weiß wirklich nicht, wie du das fertigbringst, Vronc. Deine Kompositionen haben etwas von der Unendlichkeit um uns herum an sich.«
»Wir sind die Unendlichkeit«, sagte Vronc. Wie immer schienen seine stahlgrauen Augen durch sie hindurchzublicken. »Es ist nur eine Frage der inneren Einsicht, die Tiefe des Gehirns wiederzugeben. Du mußt die dunkle Tür des Unterbewußtseins öffnen und alles aus ihr herauslassen. Wir sind die letzten seiner großen Rasse und müssen überleben. Nichts anderes hat einen wesentlichen Sinn, und genau das versuche ich mit meiner Musik auszudrücken. Wir sind das Endziel der Schöpfung, und die Wiedergabe dieses Endziels ist das Endziel meiner Schöpfungen, das ich zu erreichen hoffe.«
Und du beherrschst diese Schöpfung , flüsterten die Stimmen in Claudan, aber sie wissen es nicht, sie können es nicht begreifen. Es würde sie in den Wahnsinn treiben.
Die Stimmen waren immer in Claudan; sehr tief verborgen, aber ein Teil seiner selbst. Unerkannt herrschst du über diesen Teil des Weltalls, von dem du selbst der Anfang und das Ende bist … Und so war es auch.
Claudan war Biologe. Seit ihrem Aufenthalt in der Kuppelstadt hatte er sich voller Fanatismus genetischen Experimenten zugewandt. Die verschiedenen Arten der Tierdiener waren das Ergebnis. Anfangs hatte
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