Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
ein Künstler ein schlechtes Bild malt, liegt die Wahl, ob er es behält oder vernichtet, allein bei ihm. Die Tierdiener nützen uns, also erhalten wir sie am Leben. Aber anstatt uns dafür dankbar zu sein, stellen sie Forderungen! Vergiß nicht, daß sie in der Mehrheit sind. Unsere Übermacht beruht lediglich darauf, daß wir die Schlüssel der Waffenkammern besitzen. Ihre ursprüngliche Furcht vor unserer geistigen Überlegenheit ist längst geschwunden. Jetzt haben sie nur noch Angst vor unseren Waffen. Und es wird wieder einmal höchste Zeit, daß wir ihnen zeigen, wer ihre Herren und Meister sind.«
    Er schritt zur Wand und steckte einen kleinen Ringschlüssel in das Schloß. Summend öffnete sich eine Tür. Luccar griff nach Elektropeitsche und Injektionspistole. »Komm, Horley«, sagte er, »wir holen uns einen oder zwei und vergnügen uns ein bißchen.«
    Sie verließen den Saal. Nur wenige Minuten später heulten die Alarmsirenen auf. »Der Raaff!« dröhnte die metallische Stimme aus den Lautsprechern. »Der Raaff!«

    Dunkelheit und der Geruch verbrannten Fleisches umgab die Tierdiener. Sie saßen stumpfsinnig dicht nebeneinander in einem riesigen, verschlossenen Raum, in dem nur an wenigen Stellen matte Kugellampen brannten. In der Mitte des Raumes lagen die Überreste ihres gewählten Sprechers, eine undefinierbare, rauchende Fleischmasse mit vier Armen und langen Spinnenbeinen. Niemand kümmerte sich um ihn, und seine Leiche würde so lange liegenbleiben, bis einer der Herrscher den Befehl dazu gab, ihn zum Desintegrator zu tragen. Mehrere der eingeschlossenen Geschöpfe hatten sich von der Hauptmasse abgesondert und sich in einer Ecke kreisförmig hingesetzt. Niemand machte der Versuch, sie zu stören. Selbst die Herren ließen die Augenlosen in der Regel in Ruhe und taten, als seien sie gar nicht existent. Nun saßen sie in einem Kreis und summten mit ihren zahnlosen Mäulern, die nur aus dicken, fleischigen Lippen bestanden, monoton vor sich hin. Es war eine eintönige Melodie, aber sie war durchdringend und hatte ein seltsames Leitmotiv, das sich stets wiederholte und variierte. Vronc wäre möglicherweise der einzige Mensch gewesen, der diese Melodie erkannt hätte. Ihre Bedeutung war Schmerz, Schmerz, Schmerz und Trauer …
    Die Kugellampen leuchteten plötzlich auf. Klinisches, weißes Licht überspülte den Raum und schmerzte in den Augen derjenigen, die Sehwerkzeuge besaßen. Die schwere Tür öffnete sich, und zwei Herren traten ein. Sie trugen die schweren Stöcke, die Schmerzen erzeugten, wenn man mit ihnen in Berührung kam.
    Der erste der beiden sah mit einem verächtlichen Blick auf die aufgeregten Geschöpfe hinab. »Ihr seid schon wieder ungehorsam«, sagte er. »Ihr wagtet es, uns Forderungen zu stellen! Das verlangt nach einer Bestrafung.« Die Elektropeitsche machte eine kreisende Bewegung. »Du – und du! Kommt her!«
    Der erste Tierdiener wankte schwerfällig auf seinen mißgestalteten Beinen heran. Den Blick seiner drei dicht beieinanderstehenden Augen wagte er nicht von seinen Herren zu lösen. Der zweite war einer aus der Gruppe der Hängebäuche. Er kroch erschreckt nach hinten, aber die Peitsche züngelte wie eine schwarze Schlange hinter ihm her und traf ihn an der Schulter. Der Flüchtling stieß einen schrillen Schrei aus, machte einen Luftsprung und blieb dann jammernd liegen. Auf ein Zeichen des Herren hin nahm der erste Tierdiener ihn auf die Schultern und folgte willig mit seiner stöhnenden Last den Herren. Die Tür schloß sich hinter ihnen, und die Lichter verwandelten sich wieder in die bedeutungslosen Lichtflecken in der Dunkelheit.
    Einer der Augenlosen griff hinter seinen Rücken und brachte etwas zum Vorschein, das er bislang dort verborgen gehalten hatte. Ein Gegenstand, wie ihm sogar ein Wesen ohne Sehvermögen herstellen konnte; lang und wurmähnlich, mit vielen Gliedern und Tentakeln, geschaffen aus Brotkrumen, verfaultem Fleisch und Knochen. Die Augenlosen setzten ihren monotonen Gesang nun fort. Es war wieder die gleiche Melodie, aber sie klang nun bedrohlich.
    Haß! lautete sie. Haß! Töten! Haß! Töten! Haß! HASS!
    Der Raaff schob seine enormen Massen der Kuppelstadt entgegen. Obwohl sein Körper bereits von mehreren rauchenden Wunden bedeckt war, gab er nicht auf. Staub wirbelte in der kalten Atmosphäre auf. Seine vorderen Tentakel schlugen stöhnend gegen die Kuppel, die unter der Gewalt der Schläge erzitterte. Der heulende Ton von Alarmsirenen

Weitere Kostenlose Bücher