Die Tarnkappe
Brief auf dem Tisch, und Gregor ist verschwunden.« Sandra trank einen Schluck und fragte: »Kennen Sie sich mit Computern aus?«
»Ein bisschen«, sagte Simon.
»Kommen Sie mit.«
»Wohin?«
»In sein Labor.«
Sandra ging voraus, öffnete eine Seitentür und stöckelte die Treppe hinab, ins Souterrain. Simon folgte ihr und dachte an Mexiko. An Sebastian, den toten Zwerg. GS . Sie gelangten in einen geräumigen Flur, grün-blaue Leuchten waren in die Decke eingelassen, alles warm, freundlich. Es gab mehrere Türen, die vom Flur abzweigten, Sandra ließ alle links und rechts liegen, ging auf die letzte Tür zu, öffnete sie, von allein sprangen Lichter an. Der Raum war vollkommen leer bis auf einen einzigen Tisch, der kaum einen Meter mal einen Meter maß, und auf dem Tisch stand nichts als ein Laptop, kabellos. Der Raum war etwa zwanzig Quadratmeter groß, es gab keine Fenster, das künstliche Licht verbreitete trotzdem eine angenehme Wärme.
»Das ist sein Labor?«, fragte Simon.
»Ja.«
»Warum hat er sich hier verkrochen?«
»Fragen Sie nicht. Oben gibt es riesige helle Räume mit Blick in den Garten, Sonne, Ruhe, alles.«
»Und er hat hier gearbeitet?«
»Tage und Nächte. Er wollte keine Ablenkung. Er wollte volle Konzentration. Kein Licht und keinen Vogel und keinen Schatten an der Wand.«
»Und warum hat er das Labor leergeräumt?«
»Hat er nicht. Das sieht immer so aus. Er hat nicht mal Notizzettel. Er sagt, alles, was er braucht, steckt im Laptop. Er kann programmieren, Daten erfassen, Berechnungen anstellen, er hat die gesamte Welt dort.«
»Aber er muss doch Pausen gemacht haben. Wenn er müde war. Dann ist er nach oben gekommen?«
»Nein. Er hat sich hier auf den Boden gelegt.«
»Ohne Matratze? Ohne Kissen?«
»Je härter umso besser, hat er gesagt. Dann steht er umso schneller wieder auf und arbeitet weiter. Das war ein Zwang, er musste einfach arbeiten. Ständig.«
»Und was genau hat er gearbeitet?«
»Ganz am Anfang war er bei einer Firma angestellt, die Suchmaschinen entwickelt hat. Er hat einen Algorithmus gefunden, der ihm heute noch Geld einbringt.«
»Und weshalb ist er nach Mexiko gereist?«
»Bilderschrift der Maya. Piktogramme. Auch die Maya-Forscher brauchen Suchfunktionen. Gregor hilft ihnen dabei.«
Sandra schaltete den Laptop ein, das Ding fuhr hoch, viel schneller als die Computer bei Brönner & Co., im Grunde genommen war der Laptop schon in derselben Sekunde bedienbereit, in der Sandra den Knopf gedrückt hatte, schon da sah Simon ein freies, schwarz umrahmtes Feld mit der Aufforderung, das Passwort einzugeben.
»Wollen Sie es mal versuchen?«, fragte Sandra. »Ich hab Stunden hier verbracht.«
»Dazu brauch ich Zeit«, sagte Simon.
»Die bekommen Sie. Ich habe ein Gästezimmer vorbereitet. Wir essen jetzt was, dann lasse ich Sie in Ruhe, und Sie versuchen, das Passwort zu knacken.«
Das Essen verlief angenehm. Sandra wollte viel wissen. Simon gab Antwort. Es tat ihm gut zu sprechen. Wenn aber er eine Frage stellte, wich Sandra aus, Simon wusste nach dem Essen nur, dass Gregor und Sandra erst seit zwei Jahren verheiratet waren, die Hochzeit gleich im selben Jahr, in dem sie sich kennengelernt hatten. Sandra legte die Serviette fort, griff nach Zigaretten und bot Simon eine an, beide gingen rauchend zum Sofa, und plötzlich fragte Sandra ihn nach Carsten. Wollte, dass Simon erzählte. Kannte, wie sie sagte, die Geschichte in allen Einzelheiten, wollte aber Simons Version hören. Simon zögerte, aber Sandra ließ nicht locker, und schließlich gab er nach, und während des Erzählens merkte er, dass die Worte wie nasse Tücher das Erlebte kühlten. Als Simon geendet hatte, fragte Sandra: »Bedrückt Sie das noch, nach so langer Zeit?«
»Nein«, sagte Simon und schluckte. »Ich hab versucht, das alles zu vergessen.«
»Wenn Sie Carsten wiedersehen könnten, würden Si e …«
»Nein, nein, ich würde es nicht wollen. Nein. Auf keinen Fall.«
Sandra nickte nachdenklich. »Sie haben die ganze Nacht Zeit für das Passwort«, sagte sie und stand auf.
Simon trank sein Weinglas aus. Sandra zeigte ihm das Gästezimmer im ersten Stock und brachte ihn zurück ins Labor.
»Wir sehen uns morgen beim Frühstück.«
Simon nickte.
Dann war er allein.
Er sah auf das Flimmern der Oberfläche, auf den Monitor, es war kalt hier drinnen, ihn fröstelte. Geben Sie das Passwort ein. Simon tippte das Wort Tarnkappe. Falsches Passwort. Simon probierte es weiter, Kappe,
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