Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
streifte die Laute von seinem Rücken und zog seinen Degen. Die Umstehenden bildeten einen Ring um die Kämpfer.
Mit dem Gebrüll eines Tieres, den Schädel voran, nahm Pancheo Anlauf und rammte seinen Kopf in die Brust Zimenes’, der den Degen hochriss, weil er ihn nicht gegen einen Unbewaffneten richten wollte. Zimenes taumelte und rang nach Atem. Pancheo riss ihm – alles andere als ein Ehrenmann – den Degen aus der Hand, holte aus und stürmte wieder nach vorn.
Sidonia stellte ihr rechtes Bein vor, Pancheo stolperte, und der Degen entglitt ihm. Der Lautenspieler griff danach und richtete ihn auf seinen Gegner, der mit einem letzten Brüllen direkt in die Klinge fiel. Klatschen und Begeisterungsrufe wurden laut.
»Lasst mich durch! Was geht hier vor?«, setzte sich die Stimme Goswins gegen den Tumult durch. Sidonia erschrak, als sie ihren Widersacher vom Vortag erkannte, und zwängte sich – die leblose Lunetta fest an sich gedrückt – zwischen den Gaffern durch. Goswin erkannte sie aus den Augenwinkeln, stutzte beim Anblick ihrer vornehmen Gewänder und wollte ihr nachsetzen.
Ein Mönch stellte sich zwischen ihn und Sidonia, die dem Dominikaner über die Schultern einen Dankesblick zuwarf. Sehr helle Augen lächelten zurück. Sidonia registrierte das schöne Gesicht des Kuttenträgers und verschwand in der Menge. Der Mönch wandte sich gebieterisch an den Stadtsoldaten: »Schnapp dir den Mann mit dem Degen und der Laute. Er hat zugestochen. Alle haben es gesehen.«
Goswin zuckte, als er in das edle Gesicht des Dominikaners blickte. Verflucht, das war kein einfacher Predigermönch, sondern ein hoher Herr, wenn auch ein Auswärtiger. Der von ihm angezeigte Jüngling schien Iberer zu sein, genau wie sein am Boden liegendes Opfer. Verfluchtes Pfingsten, Störenfriede aus aller Welt trieben sich in Kölns Mauern herum! Gleichgültig. Den Befehlen des Dominikaners würde er nicht Folge leisten.
»Hier führe ich die Untersuchungen. Die Metze, der du eben zur Flucht verholfen hast, ist verdächtig, wahrscheinlich Hure.«
»Du sprichst mit einem Vertreter der Heiligen Inquisition, Kerl, und ich habe in Köln einiges zu erledigen, der Erzbischof selbst hat mir Handlungsfreiheit zugebilligt. Wie ist dein Name?«
Der Stadtsoldat biss die Zähne aufeinander. Zum Teufel! Den Stadtherren würde es nicht schmecken, wenn ein kleiner Torwächter wie er sich mit einem Inquisitor anlegte. Dem Rat lag daran, dem Erzbischof keinen Anlass zum Eingreifen in Kölns Belange zu geben.
Vor Jahrhunderten hatte man die Macht des Krummstabs abgeschüttelt und den Bischof nach Bonn verbannt. Der Vorwurf, Köln würde in Zeiten der lutheranischen Heckenprediger und Schwarmgeister einen Ketzerverfolger behindern, wäre dem Erzbischof ein willkommener Anlass, die Machtfrage neu zu stellen. Sogar Anlass, den in Spanien weilenden Kaiser und Lutherhasser Karl V. gegen Köln aufzubringen, das dem Kaiser alle Freiheiten als Reichsstadt verdankte. Goswin machte dem Dominikaner Platz.
Aber das Gespräch von Mönch und Soldat hatte dem Lautenspieler Zeit zur Flucht verschafft. Bereitwillig hatten die Gaffer dem Sieger des Zweikampfes eine Gasse gebildet und die Lücke hinter ihm geschlossen.
Der Lautenspieler lief zum Hafen hinab. Dort verlangsamte er seine Schritte. Verdammt! Lieber wäre er auf dem Markt geblieben und hätte ein zweites Mal zugestochen. Ohne Zögern, ohne Kampf, ohne Erbarmen. Der Dominikaner verdiente keinen ehrenvollen Tod. Abstechen wie ein Schwein würde er Aleander, wenn er ihn zu fassen bekäme. Doch Rache war ein Gericht, das man kalt verzehren sollte und nicht im Beisein von Zeugen. So viel hatte ihn sein Dienstherr, der Ritter Adrian von Löwenstein, gelehrt. Ob Aleander ihn nach all den Jahren erkannt hatte? Dann wäre der Dominikaner nun gewarnt.
Gebe Gott, dass wenigstens Lunetta bei dieser Bürgergans in Sicherheit war. Wie war noch deren Name? Sidonia. Das musste genügen, um sie aufzuspüren.
11
Die Kunde vom Tod seines Reliquienhändlers erreichte Claas van Berck am nächsten Morgen. Ein Ratsherr berichtete vom Tod des Pilgers, dessen Kopf ein Lachsfischer aus dem Rhein gezogen hatte. Der Kaufmann zeigte sich betrübt und ging nach dem Besuch des Ratsherrn in seine Kapelle, um ein Gebet für seinen Pilgervertreter zu sprechen.
Andächtig betrat er den Raum mit dem Kuppeldach, bekreuzigte sich vor dem Altar und versank in die Betrachtung seiner Sammlung, die er dem Reliquienhändler verdankte.
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