Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
ständig über sie und ihren Bräutigam lustig? Gerade noch war sie bereit gewesen, Gabriel zu verzeihen, weil er die Spatzen gerettet und die langweilige Festgesellschaft mit so unverfrorener Eleganz aufgestört hatte. »Warum spottet Ihr über Adrian von Löwenstein? Und was hat der Ritter mit dem Kind zu tun?«
»Ich spotte nicht über Adrian von Löwenstein! «
»Also spottet ihr über mich!«
Die Tanzordnung trieb sie auseinander, bevor Gabriel Zimenes antworten konnte. Ungeduldig stieß Sidonia die Dame beiseite, die an der Reihe war, sich mit Gabriel zum Kreistanz zu vereinen, fasste ihn bei den Händen und zog ihn zu sich heran.
»Das«, sagte Zimenes schmunzelnd, »verstößt gegen die Tanzordnung und jede Regel des Anstands, junge Dame. Man wird annehmen, Ihr hättet Interesse an mir. Schickt sich das für eine verlobte und wie ich hoffe verliebte Braut?«
»Es reicht. Was bildet Ihr euch ein! Ihr seid ein dummer kleiner Quacksalber. Ich habe an keinem Mann Interesse außer an Adrian von Löwenstein!«
»Davon rate ich dringend ab«, flüsterte Gabriel. Er beugte sich zu ihr hinab. Seine ernste Miene ließ Sidonia verstummen. »Hört ihr? Vergesst den Ritter. Er kann Euch nicht glücklich machen. Niemals. Und nun verratet mir, wo ich Lunetta finde, das ist alles, was ich von Euch will.«
Das Ende des Tanzes gab Sidonia die Gelegenheit, sich ohne Antwort von Zimenes zu entfernen. Verwirrt schritt sie zu ihrem Platz zurück. Warum hatte der Spanier so eindringlich auf sie eingeredet?
Wieder nahm der Küchenchef seinen Posten beim Eingang ein, um Gerichte anzukündigen. Ein süßer Zwischengang stand auf seiner Liste. Doch bevor der erste Knecht ein Tablett hineintragen konnte, schlüpfte Lambert an ihm vorbei in den Saal. Verstohlen nahm er an der Tafel Platz und bemühte sich, die Blicke seines Vaters zu ignorieren.
»Cerises sautées avec fleur d’oranger« , kündigte der Koch gedünstete Kirschen mit Orangenblütenaroma an. Wieder strömten Diener hinein. Bei dem letzten stutzte der Koch und zog die Wachstafel unter seiner Schürze hervor, auf der er die Speisenfolge notiert hatte. Der Bursche war zu viel. Und die namenlose Speise, die er unter einer Zinnglocke verborgen hatte, ebenfalls.
Der Koch wollte hinter dem Knecht her, aber der hatte bereits die Mitte des Saales erreicht und wurde bewundert. Auf der Zinnglocke klebten Altarkerzen. Weiße Rosen und kandierte Veilchen bildeten einen Kranz um die Glocke. Mit geradem Rücken hielt der Knecht auf Claas van Berck zu.
Sidonia beobachtete es mit wachsendem Entsetzen. Gabriel Zimenes’ Warnung hatte sie verwirrt, und ein Blick auf Lambert, der unruhig auf seiner Bank hin und herrutschte, ließ eine böse Ahnung in ihr hochsteigen. Etwas war völlig falsch an diesem Fest, an diesem Abend.
Der Kaufmann sah den Diener mit der Zinnglocke nicht kommen. Er war in die Tadel vertieft, die er Sidonia erteilte, weil sie mit Gabriel getanzt und ihn sogar vor aller Augen an sich herangezogen hatte. Erst als das Tablett vor dem Kaufmann abgesetzt wurde, schaute er auf. Seine Gäste erwarteten eine weitere Überraschung. Alle blickten gebannt auf die Zinnglocke. Von fern schlug Sankt Kolumba die elfte Stunde.
Claas van Berck blies nachlässig die Altarkerzen aus. Sidonia streckte impulsiv die Hand vor, wollte nach der seinen greifen, doch van Berck schüttelte sie ab und hob mit Schwung die Zinnglocke.
Schreie wurden laut.
Ein Domherr sprang von seinem Stuhl auf: »Das ist übelste Ketzerei! Gotteslästerung! Wo ist der Gewaltrichter? Er muss sofort einschreiten.«
Claas van Berck starrte auf die Platte hinab. Sidonia erbleichte. Unter der Zinnglocke lagen auf einem Wappentuch der Löwensteins die abgehackten Hände eines Menschen. Sie waren wie zum Gebet um einen Rosenkranz aus Goldmünzen gefaltet, am Ringfinger der linken Hand steckte ein Brautring. Langsam hob der Kaufmann seinen Blick. Seine Augen suchten Lambert, die Augen der anderen Gäste folgten seinen.
Doch noch bevor alle den Jüngling ausgemacht hatten, der mit entschlossener Miene aufgestanden war, ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Alle Köpfe fuhren zur Tür herum, die vom Druck einer Explosion in den Saal geschleudert wurde. Schreiend und in Panik sprangen Männer und Frauen von der Tafel auf, warfen die Bänke um, flohen nach allen Richtungen und versuchten der Rauchwolke zu entkommen, die schwarz in den Raum quoll.
Brandgeruch lag in der Luft. Schon erklang die Feuerglocke des
Weitere Kostenlose Bücher