Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
sag mir alles. Du weißt nicht, was für mich davon abhängt!« Der Ritter war der einzige Mensch, der die Machenschaften seines Bruders Aleander gefahrlos aufdecken konnte. Wenn er der Mann von Ehre war, als den man ihn bezeichnete, würde er seinen Bruder vernichten, der es auf sein Erbe und seinen Titel abgesehen hatte. Vielleicht würde er sie sogar als seine Frau anerkennen, die sie auf dem Papier ja war!
»Ist Adrian von Löwenstein nicht ertrunken?«
Gabriels Miene verschloss sich. »Ich selbst war Arzt an Bord der Amorosa und habe den Untergang des Schiffes überlebt.«
»Und der Ritter?«
Gabriel stand auf. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er niemals vorhatte, dem Befehl seines Vaters zu gehorchen und dich zu heiraten. Er würde niemals dein Mann werden. Begrabe deine Mädchenträume! Du bist jung und reizvoll. Du wirst einen anderen betören.«
In Sidonias Augen funkelte Hass: »Hier geht es nicht um Mädchenträume! Ich will keine Träume. Es geht um einen Vertrag!« Verächtlich schaute Gabriel auf sie hinab: »Dann galten deine Tränen also nur dem Verlust des Grafentitels und einer Adelshochzeit? Ich war kurz davor, dich nicht für derart eitel und herzlos zu halten.«
»Mein Herz geht niemanden etwas an!«
»Da du keines zu haben scheinst, würde es auch niemanden interessieren. Um dem Ehegeschäft eurer Väter zu entgehen, wählte Adrian von Löwenstein den Weg in die Neue Welt. Er wollte sich und den seinen als Konquistador ein neues Vermögen erkämpfen.« Heißblütiger Narr, der er war, fügte Gabriel in Gedanken hinzu. Löwensteins Kampf um seine Ritterehre und lohnende Beute hatte vielen Indios das Leben gekostet. Doch das würde der Tochter eines gewinnsüchtigen Kaufmanns wohl kaum die Lust am Adelsstand verderben: »Eine Heirat mit dir kam für den Ritter nie in Frage. Gleichgültig für wie begehrenswert du dich hältst.«
Auch Sidonia richtete sich auf. Die Dämmerung war in Finsternis übergegangen, ein Käuzchen schlug an. Ihr Gesicht hob sich bleich gegen die Dunkelheit ab.
»Was kannst du darüber wissen? Hat er einem armseligen Schiffsarzt etwa seine Pläne offenbart?«
»Adrian von Löwenstein hat nur eine Frau geliebt«, erwiderte Zimenes. »Meine Schwester Mariflores. Eine Frau, die es wert war, geliebt zu werden, obwohl sie keinen Ochavo besaß. Er hat sie vor seiner Abreise in die Neue Welt geheiratet.«
»Das ... das ist eine Lüge«, stammelte Sidonia. »Eine Lüge!«
»Ihre Tochter, meine Nichte Lunetta, ist der Beweis seiner jahrelangen Zuneigung!« Gabriel kämpfte gegen den Schmerz, der in ihm aufstieg. Mariflores hatte die Liebe des Ritters teuer bezahlen müssen! Wenigstens ihr Kind musste er retten.
»Lunetta?« Sidonia schnappte nach Luft und ballte ihre Hände. Die Schnittwunde an ihrem linken Handgelenk jagte einen rasenden Schmerz durch ihren Leib, doch der wog gering gegen die Verletzungen, die Gabriel ihrem Stolz zufügte. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen: »Das Mädchen ist elf oder zwölf Jahre alt und eine Gauklerin! Sie spielt mit ketzerischen Karten herum ... Sie ...«
»... ist die Tochter des Ritters.«
»Wenn Adrian deine Schwester erst vor seiner Abreise heiratete, dann ist Lunetta ein Bastard, ein Kind der Schande ...«
Gereizt bis aufs Blut unterbrach Gabriel sie: »Durch die Heirat ist sie eine von Löwenstein! Mehr als du je sein wirst!«
»Aber deine Schwester ist und bleibt eine ...«, Sidonia hielt inne, dann spie sie ihm das Wort ins Gesicht, »eine Dirne! Eine Hure!«
Gabriels Miene versteinerte. »Womit die Heirat ein umso deutlicherer Beweis für die aufrichtige Liebe des Ritters Adrian von Löwenstein wäre. Aber davon scheinst du nichts zu verstehen. Und nun entschuldige mich, ich muss das Kind finden, bevor es ein anderer tut.«
Als Gabriel verschwunden war, sank Sidonia auf die Bank und schlug die Hände vors Gesicht. Eine böse Lust hatte sie dazu getrieben, dem Spanier das Wort Hure entgegenzuschleudern. So als könne sie es damit von sich abstreifen. Aber es verschaffte ihr keine Erleichterung. Im Gegenteil. Sie bereute ihren Ausbruch und fand sich nur noch abscheulicher. Lunetta war doch nur ein Kind! Ein Kind mit sehr traurigen Augen. Wer wusste schon, was das Schicksal ihr angetan hatte. Immerhin gab es einen Menschen, der alles riskieren würde, um sie zu retten. Wehmütig betrachtete sie die Mauer, über die Gabriel verschwunden war. Wenn sie nur auch ihrem Schicksal entfliehen dürfte, wenn es nur
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