Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
zeigen müssen, wozu du auf der Welt bist.«
Roh riss er ihr das lose Hemd herab. In der ersten Nacht hatte Sidonia sich freiwillig entkleidet, um ihre Schätze – das Buch von Mariflores, ihr Geld und die Karten – unbemerkt in ihrem Kleiderbündel verbergen zu können. Nackt bis aufs Hemd schlief sie mit Aleander in dem Bett. Er hatte seine Annäherungen nach einer heftigen Vereinigung in der Nacht ihrer Entdeckung nicht wiederholt. Jetzt schien ihm die Zeit gekommen, die Demütigung zu erneuern.
Abwehrend hob Sidonia die Hände. »Wage es nicht, oder ich schreie.«
»Schrei so viel du willst, ich werde dir das Maul schon stopfen.«
Er stieß sie nach hinten. Sidonia prallte gegen die Wand, richtete sich auf, obwohl sie wusste, dass sie unterliegen würde und dass diese Kämpfe ihm Lust verschafften und seine Machtgefühle stärkten. Draußen stimmten die Pilger einen Lobgesang an. Es war, als sollte sie inmitten einer Messe vergewaltigt werden. Ähnliches schien auch Aleander zu imaginieren. Feierlich streifte er seine Kutte ab und präsentierte sich in seiner Nacktheit.
»Küss mich«, befahl er. »Du weißt, wie.«
Sidonia verschloss die Lippen. Dieser Mann war verworfener als Satan selbst. Er stand vor dem Bett und packte sie bei den Schultern. »Knie dich hin.« Er hob drohend seine Rechte. Draußen auf dem Achterkastell erklang das Vaterunser. Aleander betete es mit.
Sidonia schüttelte voll Ekel den Kopf. »Eher sterbe ich!«
Aleander lächelte. »Oh, das hat noch Zeit, und ich weiß, dass du nicht sterben willst. Du hast – anders als ich – eine Schwäche für das Leben.«
Er stieß sie zurück auf das Bett und warf sich auf sie. Seine Kraft war beängstigend. Sidonia fragte sich, was ihm solche Stärke verlieh, denn sein Leib war eher sehnig als muskulös. Taub für ihre eigenen Empfindungen, spürte sie die Wölbungen der Narben, die über seinen Oberkörper liefen, auf ihrer Brust. Sie fühlte mit einem Mal den Schmerz, den ihm diese Verletzungen verursacht haben mussten, und wusste, dass der Schmerz, den er ihr zufügte, dem Schmerz und den Demütigungen gleichen sollte, die er nicht von sich abschütteln konnte. Ihn trieb die Lust einer hässlichen Seele, Rache am Schönen zu nehmen, an der Lust genau wie am Leben selbst.
Was, wenn sie keine Schmerzen mehr empfinden würde bei dem, was er tat? Wenn sie nicht mehr sein Opfer wäre, das sich hilflos wehrte und dadurch sein Gefühl von Macht nur nährte? Sie schloss die Augen. Sie dachte an das Haus ihres Vaters, reiste in Gedanken zurück in ihre Kindheit, sah sich als kleines Mädchen, spielend und voll Unschuld. Sie war keine Frau. Wenigstens in Gedanken konnte sie sich aus ihrem Leib und der Gegenwart entfernen. Was geschah, geschah nicht ihr, sondern einem toten Leib, der keine Schmerzen kannte.
Aleander drang in sie ein. Sie öffnete die Augen nicht, sondern zwang sich gleichmütig zu atmen und nichts zu empfinden. Sie konnte das Treiben zweier fremder Körper ohne Teilnahme beobachten. Der Dominikaner hielt verblüfft inne. Weder sie noch Aleander bemerkten die Hand, die die Zeltbahnen des Eingangs teilte, und das Augenpaar, das kurz ins Zelt blickte.
»Hör nicht auf«, flüsterte Sidonia einer Eingebung folgend. Zu ihrer Verwunderung fiel ihr die Vortäuschung von Lust leichter als vergeblicher Widerstand. Nichts zu empfinden verschaffte ihr wenigstens die Macht, die Demütigung zu verkürzen. Der Dominikaner würde sie nie dorthin verfolgen können, wo sie nun war. Im Land ihrer Kindheit, sorglos, beschützt und geliebt. Sollte er mit ihrem Leib nur verfahren, wie er wollte, über ihre Empfindungen würde er keine Macht gewinnen.
Unvermittelt zog Aleander sich aus ihr zurück. Sidonia riss die Augen auf – hatte sie den Satan besiegt?
»Glaube nicht, dass du Spiele mit mir treiben kannst, kleine Hure«, zischte der Dominikaner. »Das haben schon viele Weiber vor dir versucht. Die Frau meines Bruders habe ich dafür brennen lassen. Und glaube mir, sie war reizvoll und – wahrhaft demütig.«
Mit einer raschen Bewegung riss er ihr Kleiderbündel hoch, schüttelte es aus. Die Geldbörse plumpste heraus, Mariflores’ Buch fiel hinterher, die Tarotkarten verteilten sich flatternd über den Boden.
»Auch ich habe in deinen Papieren geschnüffelt! Du weißt also, wer Mariflores war und wie sie starb. Lass es dir eine Warnung sein, und betrüge mich niemals.«
Sidonia lag erstarrt auf dem Bett.
Der Dominikaner schlüpfte in
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