Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Ist das nicht dein Ziel? Meine willentliche Unterwerfung? Ich bin bereit. Und nun strecke deine Arme über deinen Kopf.«
Sie griff wieder nach dem Strick. Aleanders Lust verlosch nicht, sie sah, dass er kurz vor dem Gipfel stand und zugleich begierig war, seine Erregung zu halten.
»Tu, was du willst«, stieß er hervor.
Sidonia sprang vom Bett, griff sich seine Handgelenke und band den Strick darum. Sie zog ihn sehr fest. Das Seil schnitt sich in Aleanders Fleisch. Es war, wie sie vermutet hatte, der Schmerz erregte ihn noch mehr. Sie band das Ende des Stricks an die Holzstreben des Bettes. Dann stand sie neben dem Bett und betrachtete den Mann. Ihr Ekel und ihre Furcht wurden zu kalter Verachtung. Der besiegte Feind glich nie dem Feind, gegen den man angetreten war.
»Und nun?«, fragte Aleander heiser.
»Warte«, sagte Sidonia, und ihre Hand glitt zu dem Kleid am Boden. Hastig tastete sie nach dem Messer. Als sie es in der Rechten spürte, zog sie es hervor und drehte sich zu Aleander um. »Und jetzt werde ich dich töten«, zischte sie.
Aleanders Blick verriet kurze Verblüffung, dann verzog sich sein Mund. Nicht in Furcht, sondern zum Lächeln.
»Das kannst du nicht. Du hast eine bedauerliche Schwäche für das Leben. Sogar für das meine.«
Sidonia riss das Messer hoch.
5
In den Hügeln oberhalb Santanders zügelte Sidonia das Pferd. Noch einmal wandte sie den Kopf und betrachtete das Meer von vereinzelten Lichtern und Schiffsfeuern, die die Lage der Hafenstadt verrieten. Erleichtert schöpfte sie Atem. Die Flucht war gelungen. Aleanders frisch verfasstes Todesurteil für den Abt von San Zoilo war zu ihrem Passierschein in die Freiheit geworden.
Sie hatte es dem Nachtwächter des Klosters vorgezeigt und behauptet, Aleander verlange die sofortige Zustellung. Der Wächter hatte das Siegel geprüft und dem vermeintlichen Pagen und seinem Pferd, das zu dem Reisezug des Dominikaners gehörte, die Tore geöffnet.
Mit klappernden Hufen hatte Sidonia die Gasse passiert und dem Pferd die Sporen gegeben, sobald das Kloster außer Sicht war. Der Sternenhimmel und die Mondsichel hatten genug Licht gespendet, um den Weg in die Hügel zu finden. Doch jetzt herrschte vor ihr tiefste Finsternis.
Es wäre ein Wagnis weiterzureiten. Sidonia saß ab, klopfte dem Pferd den Hals und führte es am Zügel voran. Der ansteigende Weg schlängelte sich in einen Wald aus Eichen und Buchen. Sidonia ging mit gespitzten Ohren. Sie vernahm das Rufen von Käuzchen und manchmal ein Rascheln im Gestrüpp. Ob es in dieser Wildnis Wölfe und Schlangen gab? Wann würde Aleander ihr Verfolger nachsetzen lassen?
Sie seufzte. Der widerliche Mann hatte Recht behalten. Sie hatte ihn nicht töten können. Als sie das Messer hinabsausen ließ, hatte eine unsichtbare Macht ihre Kraft gedämpft. Das Messer war schlecht gelenkt neben Aleander in die Strohmatratze eingedrungen.
»Närrin«, hatte der Dominikaner triumphiert. »Glaubst du tatsächlich, dass du mir entkommen kannst? Keiner entkommt mir, dem Löwen. Selbst Zimenes fand durch mich seinen Untergang. Lunetta wird ihm folgen, genau wie Fadrique und dein Bruder. Du, meine Schöne, wirst nur leben, um ihre Leiden zu erleben. Glaube mir, ich habe die Schwäche des Mitleids längst besiegt. Das Mitleid ist der Feind wahrer Größe!«
Sie hatte ihm ein Stück Stoff in den Mund gestopft, um seine Spottreden nicht anhören zu müssen, während sie in ihre Pagenkleidung gestiegen war und ihre Habseligkeiten in einen Lederbeutel gepackt hatte. Ohne sich noch einmal umzudrehen, war sie den Zimmern entflohen.
Und nun stand sie inmitten eines Waldes und lief Gefahr, sich zu verirren. Suchend schaute sie in den Himmel, der sich zwischen flüsternden Baumkronen zeigte. Es hieß, dass der Jakobsweg von einer Sternenstraße gekennzeichnet sei und Santiago de Compostela direkt unter einem campus stella – einem Sternenfeld – lag. Ihr Ziel San Zoilo, wo sie mehr über den Verbleib Fadriques zu erfahren hoffte, lag am Jakobsweg. Westlich von Burgos, wie Aleander verraten hatte. Sidonia kniff die Augen zusammen. Dann schüttelte sie den Kopf. Nein, sie war nicht in der Lage, den Himmel zu deuten.
»Komm«, raunte sie dem Pferd zu und schritt voran. Äste streiften ihre Beine, Gestrüpp krallte sich in ihre Hosen. Sie kämpfte sich voran, sehnte Erschöpfung herbei, um nicht nachdenken zu müssen. Keuchend arbeitete sie sich Fuß um Fuß weiter auf die Kordilleren zu. So hoffte sie
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