Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Münzwechsler goldene Maravedis gegen kleine Ochavos tauschte, um zahlen zu können, mit misstrauischem Respekt. Sidonia schien es, als schwankten sie, in dem fremden Jüngling einen Verrückten oder einen wagemutigen Reisenden zu erkennen.
In den letzten Jahrzehnten war es Mode unter Europas Adelssprösslingen geworden, eine große Tour in ferne Länder zu unternehmen. Man ahmte – mangels Kreuzzügen – die großen aventiuren der alten Ritterepen auf eigene Faust nach und hoffte, seinen Heldenmut beweisen zu dürfen. Sei es im Kampf mit Wegelagerern oder bei Scharmützeln zwischen verfeindeten Kleinfürsten. Meist gingen diese Reisen über die Haupthandelswege oder Pilgerstraßen. Im Flusstal des Besaya war man an fremde Reisende nicht gewohnt, allenfalls seefahrende Kaufleute aus Santander kamen hierher, um sich große Partien Wolle für den Export zu sichern.
Sidonia hatte ihre Vorräte beisammen, als sie an dem kleinen Stand eines Tuchschneiders vorbeikam. Zur Werbung für seine Woll-und Flachsstoffe hatte er einen Rock und ein Leinenhemd schneidern lassen und an das Gerüst seines Standes gehängt. Der Rock bauschte sich im Wind, der vom Gebirge her durch die mittagswarmen Gassen strich. Eben wollte Sidonia ihr Pferd besteigen, als ihr das Gewand ins Auge fiel.
Sie nahm den Fuß aus dem Steigbügel und eilte zu dem Stand. Sie griff nach dem Rock und befühlte den rauen Stoff. Der Händler kam hinter seinem Stand hervor und warb schmeichelnd für sein Tuch. Im vornehmen Kastilisch, das Doña Rosalia sie gelehrt hatte, fragte Sidonia nach dem Preis. Der Händler stutzte, doch als Sidonia dem unverschämt hohen Preis zustimmte, den er nannte, stimmte er einem Verkauf zu.
»Das ist allerfeinste Ware«, behauptete er, während er das Kleiderbündel zusammenschnürte.
»Das ist schlecht gekämmte Wolle, die nicht richtig gewässert wurde«, erwiderte Sidonia mit dem geschulten Blick der Kaufmannstochter. Es ärgerte sie, für einen tumben Hallodri aus reichem Haus gehalten zu werden. »Und eine zweite Schur hat dieses Tuch auch nicht gesehen, es ist grob wie Sackleinen und voller Knoten.«
»Habt Ihr ein Liebchen, dem dieser Rock gefallen wird?«, fragte der Händler ungerührt.
Sidonia hob verärgert die Brauen. »Nein, es ist für eine Schwester«, sagte sie.
»Ah, eine Schwester! Natürlich. Oder eine Nichte, ja, die lieben Verwandten! Wer könnte unseren Herzen näher stehen«, spottete der Händler.
Sidonia verstaute die Kleidung in einer Satteltasche, dann drehte sie sich noch einmal zu dem Tuchkaufmann um.
»Sagt, kann man hier auch einen Pilgerhut und einen Stock erwerben?«
»Gewiss, reitet die Gasse dort hoch, am Ende werdet Ihr den Laden des Hutmachers finden. Allerdings ist er mehr auf Hirten eingerichtet, doch was unterscheidet die Tracht eines Schäfers groß von der eines Pilgers? Wollt Ihr auf dem Jakobsweg nach Santiago?«
Dieser Mann war zu gesprächig. Sidonia verabschiedete sich knapp und wählte demonstrativ einen anderen Weg als den von ihm beschriebenen. Falls ihre Verfolger den Tuchhändler ausfragen würden, wären sie hoffentlich nur verwirrt über dessen Auskünfte. Einen Hut und einen Stock würde sie sich anderswo besorgen. Hinter den kantabrischen Bergen würde sie sich in eine Pilgerin verwandeln, in der Hoffnung, ihre Gegner so von ihrer Spur abzubringen.
Wenige Stunden hinter Torrelavega wurde der Weg steiler. Sidonia musste absitzen und das Pferd am Zügel über einen gewundenen Pfad führen. Das Flusstal, das sie bislang zu ebener Erde durchquert hatte, verwandelte sich in eine Schlucht zwischen jäh abstürzenden Felswänden. Das Murmeln des Besaya verebbte und wich der summenden Stille eines Waldes, während sie sich nach oben kämpfte. Buchen, Kastanien und Eichen säumten den Weg. Wurzeln und Geröll wurden zu schwierigen Hindernissen, und das Pferd scheute, je steiler es in die Berge
Ging.
Immer wieder musste sie ihm die Augen mit ihrem Wams verdecken, um es an schwindelnden Abgründen vorbeizuzerren. Die Augen und die zitternden Flanken des Tieres verrieten Angst. Sie trieb es mit scharfen Worten und Pfiffen an, um sich und das Pferd vor einem Absturz zu bewahren.
Als Sidonia gegen Abend an einem Abzweig einen Stein entdeckte, der den Weg zu einem Monasterio wies, entschloss sie sich, das Kloster aufzusuchen und um Quartier zu bitten. Durch schweres Dickicht fand sie den Weg zu einer Lichtung, auf der sich die Einsiedelei befand. Sie führte ihr Pferd bis zum
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