Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
bemoosten Tor und klopfte an. Sie musste lange warten, bevor sie das schlappende Geräusch von Leder auf Stein vernahm. Langsam wurde das Tor entriegelt. Als sie die weiße Tracht eines Dominikaners wahrnahm, fuhr sie zurück.
Ihr Herz klopfte wild, als der fast zahnlose Mönch sie willkommen hieß. Er sprach sie in einer Mischung aus schlechtem Latein und einem spanischen Dialekt an, doch seine Gesten waren eindeutig, und nach einer Weile verstand sie auch seine Sprache. Sein Name war Bruder Simuel. Er bat Sidonia, die sich als Lambert vorstellte, in den Innenhof des kleinen Klosters, der zugleich Kreuzgang war.
Aus einer Wand entsprang eine Quelle, die zur Bewässerung eines Gemüsegartens genutzt wurde. Zwei schwarzgefleckte Schweine suhlten sich unter einer Eiche, ihr Geruch mischte sich mit einer Ahnung von Weihrauchduft, der aus einer Gebetskapelle in den Hof drang.
»Wir können dir eine Zelle für die Nacht geben«, lud der Mönch sie ein. Er schien nichts von Aleanders Verschlagenheit zu haben.
»Ich wäre euch sehr dankbar«, erwiderte sie, »und möchte mich mit einer Spende erkenntlich zeigen.«
Der Mönch lächelte. »Das ist nicht nötig, aber willkommen. Unser Kloster beherbergt derzeit nur fünf Brüder, sechs Zellen stehen leer. Du wirst sie etwas feucht finden, und unsere Abendmahlzeit ist bescheiden. Mehr als eine Grütze haben wir nicht zu bieten.«
Der Schrei eines Maultiers zerriss die Stille. Sidonia sah zu einem Stall hinüber.
»Würdet ihr mein Pferd gegen das Maultier tauschen? Mir scheint, dass es noch höher geht, und das Pferd ist nicht für den Weg geeignet.«
»Das Maultier?«
Der Mönch betrachtete die schlanken Fesseln des Pferdes und seinen glänzenden Leib. »Aber so ein wertvolles Tier kannst du nicht einfach herschenken!«
»Nehmt es als meine Spende. Mit einem Maultier wäre mir besser gedient. Der Weg ist für ein Pferd sehr schwierig.«
»Ja, das haben die Männer der Heiligen Bruderschaft auch bemerkt.«
Sidonia schrak zusammen. Der Dominikaner betrachtete sie aufmerksam. Ihre Verfolger waren bereits hier? Suchend schaute sie sich in dem Hof um.
Bruder Simuel lächelte. »Sie sind weitergeritten, um ein Lager aufzuschlagen. Wir konnten keine Auskünfte über einen Pagen zu Pferde geben!« Täuschte sie sich, oder zwinkerte er mit den Augen? Verblüfft betrachtete Sidonia den Mann.
»Wenn man es eilig hat, ist es oft besser, einen Umweg zu nehmen! Komm, ich zeige dir deine Zelle.«
Sidonia folgte ihm zögernd. Was, wenn sie wieder einmal geradewegs in eine Falle lief? Nein, beruhigte sie sich. Ihre Verfolger waren auf sie angewiesen und würden sie nicht festnehmen, bevor sie Padre Fadrique gefunden hatte.
Der Mönch zeigte ihr eine schmale Zelle und ließ sie allein. Sidonia betrachtete das Holzkreuz über dem Strohsack, ein Gitterfenster ging auf den Wald hinaus. Dunkles Grün verschattete den Ausblick. Sie entdeckte eine Wasserkanne, schloss die Zellentür und entkleidete sich. Sie wusch sich mit gespitzten Ohren, immer auf dem Sprung, rasch in ihr Hemd zu schlüpfen, falls sich Schritte näherten. Doch niemand störte sie.
Als sie sich wieder ankleidete, fiel ihr der Kartenstapel in die Hände, den sie mit Mariflores’ Buch in einer Innentasche verborgen hielt. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, mischte sie und zog – den Blick vom Kreuz abgewandt – rasch eine Karte.
El ermitaño war ihr Name. Sie zeigte einen Mönch in grauer Kutte, der auf dem Gipfel eines Berges stand. In der linken Hand trug er einen goldenen Stab, in der Rechten eine Laterne, in der ein Stern den dunkelgrauen Himmel erleuchtete. Er schien des Lichtes nicht zu bedürfen, denn seine Augen waren geschlossen. Sidonias Puls ging schneller. Ein Eremit! Stand eine Begegnung mit dem rätselhaften Fadrique kurz bevor?
Rasch blätterte sie in Mariflores’ Buch, fand das Bild und las ihre Erklärungen: Blicke nach innen. Stille schenkt Offenbarung. Vielleicht begegnest du einem geistigen Führer oder deiner wahren Bestimmung. Padre Fadrique lehrt: Allein sein heißt, alles ist eins.
Ein dünnes Bimmeln rief zum Abendgebet. Sidonia steckte die Karten unter die dünne Strohmatratze und trat in den Hof. Die Messe war schlicht wie der Gesang der Mönche, einer Schar frühzeitig gealterter Männer, denen man ihr hartes Leben ansah.
Sie nahmen das Abendessen in einem düsteren Refektorium, begleitet vom Gesumm unzähliger Fliegen ein. Simuel bot Sidonia aus einem Krug Wein an.
»Er
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