Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
ihr zurück, was man ihr genommen hat.»
Kein Gerücht , denkt Otane, hat je von einer freigelassenen jungen Nonne erzählt.
«Aber wenn das alte Weib zu viel von Maria-sama verlangt ...»
Der Schmerz in Otanes steifen Knien breitet sich auf Hüften und Fußgelenke aus.
«... dann richte Fräulein Aibagawa bitte aus, dass ihre Freundin Otane aus Kurozane glaubt ...»
Es klopft an der Tür. Otane stockt der Atem. Der Hund ist aufgestanden und knurrt ...
Beim zweiten Klopfen schiebt Otane die hölzerne Trennwand herunter.
Der Hund bellt. Sie hört eine Männerstimme. Eilig bringt sie den Altar in Ordnung.
Beim dritten Klopfen geht sie zur Tür und ruft: «Hier gibt es nichts zu stehlen.»
«Ist hier», fragt eine schwache Männerstimme, «das Haus von Otane der Kräuterheilerin?»
«Darf ich meinen ehrenwerten Gast zu dieser späten Stunde bitten, seinen Namen zu nennen?»
«Früher», sagt der Besucher, «nannte man mich Jiritsu aus Akatokiyamu ...»
Otane ist überrascht, den Namen von Meister Suzakus Novizen zu hören.
Ob Maria-sama , denkt sie, ihre Hände im Spiel hat?
«Wir begegnen uns zweimal jährlich an der Schreinpforte.»
Sie öffnet die Tür. Vor ihr steht eine verschneite Gestalt mit Bambushut und dicker Bergwandererkleidung. Er stolpert über die Türschwelle, und Schnee wirbelt ins Haus. «Setzt Euch ans Feuer, Novize.» Otane schließt schnell die Tür. «Die Nacht ist eisig.» Sie führt ihn zu einem Holzblock, der als Hocker dient.
Er befreit sich umständlich von Hut und Kapuze und bindet sich die Wanderstiefel auf.
Er ist erschöpft, das Gesicht angespannt, und seine Augen sind nicht von dieser Welt.
Fragen haben Zeit bis später , denkt Otane. Zuerst muss er sich aufwärmen.
Sie schenkt ihm Tee ein und legt seine steifgefrorenen Finger um die Schale.
Dann löst sie das feuchte Mönchsgewand und legt ihm ihren Wollschal um die Schultern.
Seine Kehle macht beim Trinken ein knirschendes Geräusch.
Vielleicht hat er Pflanzen gesammelt , denkt Otane, oder in einer Höhle meditiert.
Sie macht sich daran, den Rest der Suppe aufzuwärmen. Beide sprechen nicht ein Wort.
«Ich bin vom Berg Shiranui geflohen», platzt es plötzlich aus Jiritsu heraus. «Ich habe meinen Eid gebrochen.»
Otane ist verblüfft, aber ein falsches Wort könnte ihn verstummen lassen.
«Meine Hand, diese Hand, mein Pinsel: Sie wussten es, bevor ich selbst es wusste.»
Sie zerstößt ein Stück Yogiwurzel und wartet, dass seine Worte einen Sinn ergeben.
«Ich habe mich auf den ... den Unsterblichen Weg eingelassen, aber sein wahrer Name ist ‹Sünde›.»
Das Feuer knistert, die Tiere atmen, Schneeflocken rieseln.
Jiritsu hustet, als müsste er nach Luft ringen. «Sie sieht so weit! So unendlich weit ... Mein Vater war ein Tabakverkäufer und Spieler aus Sakai. Wir standen nur eine Stufe über den Ausgestoßenen ... und als es eines Abends schlecht beim Kartenspiel lief, verkaufte er mich an einen Gerber. Einen Unberührbaren. Ich verlor meinen Namen und schlief über dem Schlachthaus. Viele, viele Jahre lang schlitzte ich Pferdegurgeln auf, um mir mein Essen zu verdienen. Ratsch ... ratsch ... ratsch. Die Söhne des Gerbers quälten mich so sehr, dass ich mich danach sehnte, jemand würde ... mir die Gurgel durchschneiden. Im Winter spendete der Kessel, in dem ich Leim aus Knochen kochte, die einzige Wärme. Im Sommer flogen uns die Fliegen in die Augen und in den Mund, und wir kratzten getrocknetes Blut und schleimigen Kot vom Boden und vermischten beides mit Seetang aus Ezo zu Dünger. So wie dort muss es in der Hölle riechen ...»
Der Dachstuhl knarrt. Schnee türmt sich auf.
«Am Neujahrstag kletterte ich über die Mauer, die das Eta-Dorf umschloss, und floh nach Osaka, aber der Gerber schickte mir zwei Männer hinterher, die mich zurückholen sollten. Sie unterschätzten, wie geschickt ich mit dem Messer bin. Niemand sah es, nur sie ... Sie zog mich zu sich ... Tag für Tag für Gerücht für Wegscheide für Traum für Monat für Biegung. Sie trieb mich nach Westen, immer weiter ... über die Meerenge ins Lehen Hizen, von dort ins Lehen Kyōga ... und ...» Jiritsu blickt an die Decke, vielleicht bis zum Gipfel des Berges.
«Spricht Novize-sama ...», Otane dreht den Stößel, «... von jemandem aus dem Schrein?»
«Sie benutzt sie alle ...», Jiritsu stiert durch sie hindurch, «... so wie ein Zimmermann seine Säge.»
«Dann versteht das dumme alte Weib nicht, wer mit dieser ‹Sie›
Weitere Kostenlose Bücher