Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Enomoto dafür, dass er diesen Unglückseligen ein besseres Leben schenkt...
... ein besseres Leben, denkt Otane beunruhigt, für die Tochter eines Arztes und Samurai?
«Mit einem verbrannten Gesicht ist es schwieriger, einen Mann zu finden», murmelt sie, «aber nicht unmöglich ...»
Das spärliche Wissen ist Nährboden für zahlreiche Gerüchte. Viele Dorfbewohner haben gehört, dass ehemalige Shiranui-Schwestern bis zu ihrem Tod Unterkunft und Ruhegeld erhalten, da die pensionierten Nonnen aber nie in Kurozane haltmachen, hat auch noch nie jemand mit einer gesprochen. Buntarō, der Sohn des Schmieds, der am Mitteltor in der Mekura-Klamm Wache hält, behauptet, dass Meister Kinten die Mönche zu Mördern ausbilde und dass der Schrein sich deshalb so verschlossen gebe. Ein kokettes Zimmermädchen in der Herberge war einmal einem Jäger begegnet, der beteuerte, er habe geflügelte Ungeheuer in Nonnentracht gesehen, die um den Kahlen Gipfel des Shiranui geflogen wären. Erst heute Nachmittag hatte die Schwiegermutter von Otanes Nichte gesagt, der Samen der Mönche sei so fruchtbar wie der anderer Männer, und sich gleich darauf erkundigt, wie viele Scheffel «Engelmacherkräuter» Meister Suzaku denn bei Otane bestellt habe. «Gar keine», hatte diese wahrheitsgemäß geantwortet, und erst dann war ihr aufgegangen, dass die Schwiegermutter wohl genau das hatte herausfinden wollen.
Die Dorfbewohner stellen Mutmaßungen an, aber sie hüten sich davor, nach Antworten zu suchen. Sie sind stolz auf die Verbindung mit dem einsiedlerischen Kloster, und sie leben davon, es mit Nahrungsmitteln zu versorgen: Zu viele Fragen zu stellen würde bedeuten, einem großzügigen Geldgeber in die Hand zu beißen. Wahrscheinlich sind die Mönche tatsächlich nur Mönche , denkt Otane hoffnungsvoll, und die Schwestern leben wie Nonnen ...
Sie hört das uralte Schweigen von fallendem Schnee.
«Nein», sagt Otane zu der Katze. «Wir können nichts weiter tun, als die Mutter Gottes darum zu bitten, sie zu beschützen.»
Der Holzkasten, der in die Wand aus Lehm und Bambus eingelassen ist, sieht aus wie ein gewöhnlicher Hausaltar. Darin stehen die Tafeln mit den Namen von Otanes verstorbenen Eltern und eine angestoßene Vase mit ein paar grünen Zweigen. Nachdem sie sich zweimal vergewissert hat, dass der Türriegel vorgelegt ist, nimmt Otane die Vase aus dem Kasten und schiebt die Rückwand hoch. An diesem kleinen, geheimen Ort steht der wahre Schatz von Otanes Haus und ihrer Familie: eine weiß glasierte, von dunklen Rissen durchzogene Figur mit blauem Schleier. Es ist Maria-sama, die Mutter Jesu-samas und Königin des Himmels, vor langer Zeit so gefertigt, dass sie Kannon, der Göttin des Mitgefühls, ähnelt. Sie hält ein Kind in den Armen. Der Großvater von Otanes Großvater, heißt es, bekam sie von einem Heiligen namens Xavier geschenkt, der auf einem fliegenden, von goldenen Schwänen gezogenen Zauberschiff aus dem Paradies nach Japan segelte.
Otane geht vor dem Altar auf die schmerzenden Knie, in den Händen einen Rosenkranz aus Eicheln.
«Heilige Maria-sama, Mutter Adans und Ewas, die Deusu-donos heilige Persimone gestohlen hat; Maria-sama, Mutter Pappa Marujis mit seinen sechs Söhnen in sechs Kanus, der die große Sintflut überlebte, die alle Länder reinigte; Maria, Mutter Iesu-samas, der für vierhundert Silbermünzen gekreuzigt wurde; Maria-sama, erhöre mein ...»
War das ein Zweig , Otane hält den Atem an, der unter den Schritten eines Mannes knackt?
Die meisten der ältesten zehn oder zwölf Familien in Kurozane sind wie Otanes Familie verborgene Christen, aber dennoch muss sie beständig auf der Hut sein. Niemand würde sie ihres silbergrauen Haares wegen begnadigen, wenn man ihren Glauben entdeckte; die einzige Möglichkeit, die Hinrichtung in eine Ausweisung aus dem Land umzuwandeln, wäre, ihrem Glauben abzuschwören und andere Christen zu verraten, aber dann würden San Peitoro und San Pauro sie an der Pforte zum Paradies abweisen, und wenn das Meerwasser sich in Öl verwandelt und die Welt in Flammen aufgeht, würde sie hinunter in die Hölle, genannt Benbō, stürzen.
Die Kräuterheilerin ist sicher, dass niemand draußen ist. «Mutter Gottes, hier bin ich, Otane aus Kurozane. Wieder einmal bitte ich altes Weib Unsere Liebe Frau, über Fräulein Aibagawa im Shiranui-Schrein zu wachen, sie vor Krankheiten und bösen Geistern zu schützen ... und gefährliche Männer von ihr fernzuhalten. Bitte gib
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