Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
mühevoll auf und schlüpft in ihren wattierten Überkimono.
Mit dem Kopftuch verbirgt sie ihr Brandmal und eilt hinaus auf den Gang.
Ich bin keine Tochter mehr , denkt sie, aber ich bin immer noch Hebamme ...
... Wo wollte ich hin? Orito steht in dem muffigen Korridor, der durch Holzschiebewände vom Wandelgang abgetrennt ist.
Durch ein Gitter in der Decke scheint Tageslicht. Sie zittert, sieht ihren Atem, weiß, dass sie irgendwo hinwollte, aber wohin? Vergesslichkeit ist ein weiterer Streich, den Suzakus Trost ihr spielt. Sie schaut sich nach einem Hinweis um. Die Lampe in der Ecke neben dem Abtritt ist erloschen. Orito legt die Hand auf die von unzähligen Wintern dunkel gefärbte Schiebewand. Sie drückt, und die Wand gibt störrisch nur ein paar Zentimeter nach. Durch den Spalt sieht sie Eiszapfen, die von den Traufen der Wandelgänge hängen.
Die Äste einer alten Pinie senken sich unter der Last des Schnees; Harsch bedeckt die gesetzten Steine.
Auf dem viereckigen Teich liegt eine dünne Eisschicht. Der Kahle Gipfel ist mit Schneeadern überzogen.
Schwester Kiritsubo tritt hinter der Pinie hervor und geht durch den Wandelgang gegenüber. Ihre verwachsenen Finger fahren an der Trennwand entlang. Jeden Morgen geht sie einhundertachtmal um den Innenhof. Als sie an dem Spalt vorbeikommt, sagt sie: «Die Schwester ist früh auf den Beinen heute Morgen.»
Orito weiß nicht, was sie erwidern soll.
Schwester Umegae kommt auf dem Korridor auf sie zu. «Das ist erst der Anfang des Winters in Kyōga, Jüngste Schwester.» Das Schneelicht färbt die Flecken auf ihrer Haut brombeerrot. «Eine Gabe in deinem Schoß ist wie ein warmer Stein in der Tasche.»
Orito weiß, dass Umegae ihr Angst einjagen will. Sie hat Erfolg damit.
Die geraubte Hebamme hört die Geräusche des Spuckens und erinnert sich. Yayoi ...
Die sechzehnjährige Frau beugt sich über einen Holzeimer. Magenflüssigkeit hängt in Fäden aus ihrem Mund, und sie muss sich wieder übergeben. Orito zerstößt mit einer Schöpfkelle das Eis auf der Wasserschüssel und geht zu ihr. Yayoi nickt der Besucherin mit glasigen Augen zu, als wolle sie sagen: Das Schlimmste ist überstanden. Orito wischt ihr mit einem Stück Papier den Mund ab und gibt ihr einen Becher eiskaltes Wasser. «Heute ...», Yayoi zieht das Stirnband über ihre Fuchsohren, «... ist wenigstens das meiste im Eimer gelandet.»
«Dann macht Übung also doch den Meister.» Orito wischt die danebengegangenen Spritzer auf.
Yayoi tupft sich mit dem Ärmel die Augen trocken. «Warum ist mir immer noch so oft schlecht, Schwester?»
«Manche Frauen übergeben sich bis zur Geburt ...»
«Beim letzten Mal habe ich mich nach süßen Dango-Klößchen gesehnt, heute wurde mir schon bei dem Gedanken ...»
«Jede Schwangerschaft verläuft anders. Und jetzt ruh dich aus.»
Yayoi streckt sich aus, legt die Hände auf den dicken Bauch und gibt sich ihren Sorgen hin.
Orito liest ihre Gedanken. «Du spürst das Kind doch strampeln, oder?»
«Ja. Meine Gabe ...», sie tätschelt ihren Bauch, «... freut sich immer, wenn sie deine Stimme hört ... aber ... Schwester Hotaru hat sich im vergangenen Jahr auch bis zum Ende des fünften Monats übergeben, und dann hatte sie eine Fehlgeburt. Die Gabe war schon mehrere Wochen vorher gestorben. Ich war dabei, und der Gestank war ...»
«Kann es sein, dass Schwester Hotarus Kind sich schon seit mehreren Wochen nicht mehr bewegt hatte?»
Yayoi will mit ja antworten, aber die Unsicherheit lässt sie zögern. «Ich ... glaube.»
«Aber deines bewegt sich, und was schließt du daraus?»
Yayoi denkt stirnrunzelnd über Oritos Argumente nach, und ihr Gesicht hellt sich auf. «Ich danke der Göttin, dass sie dich zu uns geführt hat.»
Enomoto hat mich gekauft , Orito beißt sich auf die Lippe, meine Stiefmutter hat mich verschachert ...
Sie reibt Yayois geschwollenen Bauch mit Ziegenfett ein.
... dafür verfluche ich sie beide, und das werde ich ihnen bei der nächsten Gelegenheit sagen.
Sie spürt einen Tritt unter Yayois ausgestülptem Nabel, ein Boxen über der ersten Rippe ...
... einen zweiten Tritt neben dem Brustbein und weiter links noch eine Bewegung.
«Es kann sein ...», Orito beschließt, offen mit Yayoi zu sein, «... dass du Zwillinge erwartest.»
Yayoi ist so realistisch, dass sie die Gefahr erkennt. «Wie sicher bist du dir?»
«Ziemlich sicher. Das würde auch das andauernde Spucken erklären.»
«Als Schwester Hanue zum
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