Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Daumen um die Nabelschnur, greift mit vier Fingern von unten in den Kiefer des Fötus, drückt ihm den Kopf nach hinten und schiebt die Nabelschnur über Gesicht, Stirn und Schädel. Kawasemi schreit auf, heißer Urin rinnt an Oritos Unterarm hinunter, aber der Eingriff ist beim ersten Mal erfolgreich: Die Schlinge ist gelöst. Orito zieht die Hand heraus und meldet: «Nabelschnur frei. Hat Herr Doktor vielleicht seine -», es gibt kein japanisches Wort, «- Geburtszange zur Hand?»
«Ich habe sie mitgebracht», Maeno klopft auf seinen Arzneikasten, «für alle Fälle.»
«Vielleicht können wir das Kind holen» - sie wechselt ins Niederländische «ohne den Arm zu amputieren. Je weniger Blut, desto besser. Aber ich brauche Ihre Hilfe.»
Dr. Maeno wendet sich an den Kammerherrn: «Wenn wir Fräulein Kawasemis Leben retten wollen, muss ich mich über den Befehl des Statthalters hinwegsetzen und zu der Hebamme vor den Vorhang treten.»
Kammerherr Tomine befindet sich in einer ernsten Zwickmühle.
«Sie können mich dafür verantwortlich machen», schlägt Maeno vor, «dass seine Anweisungen missachtet wurden.»
«Die Entscheidung liegt bei mir», erwidert der Kammerherr. «Tun Sie, was nötig ist, Herr Doktor.»
Der agile alte Mann kriecht mit der Geburtszange in der Hand unter dem Musselin hindurch.
Als die Zofe das fremdländische Gerät sieht, stößt sie einen erschrockenen Schrei aus.
«Geburtszange», antwortet der Arzt ohne weitere Erklärung.
Der Haushalter hebt den Vorhang. «Nein, ich traue dieser Sache nicht! Fremdländer können schneiden und sägen und es ‹Medizin› nennen, aber es ist unvorstellbar ...»
«Gebe ich dem Haushalter Ratschläge», knurrt Maeno, «wo er seinen Fisch zu kaufen hat?»
«Die Geburtszange», erklärt Orito, «schneidet nicht - sie dreht und zieht, wie die Finger einer Hebamme, nur kräftiger ...» Sie benutzt wieder das Riechsalz. «Fräulein Kawasemi, ich nehme jetzt dieses Instrument», sie hält die Zange hoch, «um Ihr Kind zu holen. Haben Sie keine Furcht und wehren Sie sich nicht. Europäer setzen sie regelmäßig ein - sogar bei Prinzessinnen und Königinnen. Wir ziehen Ihr Kind behutsam und sicher heraus.»
«Tun Sie es ...» Kawasemis Stimme ist ein ersticktes Röcheln. «Tun Sie es ...»
«Danke, und wenn ich Fräulein Kawasemi bitte, zu pressen ...»
«Pressen ...» Sie ist bis an die Grenze zur Gleichgültigkeit erschöpft. «Pressen ...»
«Wie oft», Tomine späht durch den Vorhang, «haben Sie dieses Gerät schon eingesetzt?»
Zum ersten Mal bemerkt Orito die zertrümmerte Nase des Kammerherrn: eine Entstellung, ebenso schwer wie ihre Brandnarbe. «Oft, und nie musste eine Patientin leiden.» Nur Maeno und seine Schülerin wissen, dass es sich bei den «Patientinnen» um ausgehöhlte Melonen und bei den «Kindern» um eingefettete Flaschenkürbisse handelte. Sie führt ihre Hand wieder in Kawasemis Unterleib ein, zum letzten Mal, wenn alles gutgeht. Ihre Finger ertasten den Hals des Fötus, wenden seinen Kopf zum Gebärmutterhals, rutschen ab, finden besseren Halt und drehen den schwerfälligen Leichnam in die richtige Position. «Jetzt, bitte, Herr Doktor.»
Maeno führt die Zange an dem heraushängenden Arm vorbei bis hinauf zum Gelenk.
Den Zusehern stockt der Atem; Kawasemi entfährt ein heiserer Schrei.
Orito fühlt die gewölbten Zangenlöffel in ihrer Hand: Sie legt sie um den weichen Schädel des Fötus. «Schließen.»
Behutsam, aber entschlossen drückt der Arzt das Instrument zusammen.
Orito nimmt die Zangengriffe in die linke Hand: Der Widerstand ist schwammig und doch fest, wie Konnyaku-Gelee. Ihre rechte Hand, die noch im Uterus steckt, umfasst den Schädel des Fötus.
Dr. Maenos knochige Finger schließen sich um Oritos Handgelenk.
«Worauf warten Sie denn?», fragt der Haushalter.
«Auf die nächste Wehe», sagt der Arzt, «die jeden ...»
Kawasemis Atem beschleunigt sich unter der erneuten Schmerzwelle.
«Eins, zwei, drei», zählt Orito, «und - pressen , Kawasemisan!»
«Pressen, Herrin!», reden die Zofe und der Haushalter ihr zu.
Dr. Maeno zieht an der Zange, und Orito drückt den Kopf des Fötus zum Geburtskanal. Sie weist die Zofe an, den Arm des Kindes zu nehmen und zu ziehen. Orito fühlt, wie der Widerstand größer wird, als der Kopf in den Geburtskanal rutscht. «Eins, zwei ... jetzt !» Der verkrustete Wirbel des winzigen Leichnams quetscht sich an der Klitoris vorbei.
«Es kommt!», stößt die Zofe
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