Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
Vom Netzwerk:
Augenmaske in das weiche Gewebe dahinter und bewegte es hin und her, bis sein Griff sich lockerte und er von mir abließ.» Uzaemon wäscht sich im Wasser die Hände und löscht seinen Durst.
    «Seitdem denke ich in jeder Stadt», sagt Shuzai, «in jedem Dorf, auf jedem Marktplatz ...»
    Das eiskalte Wasser lässt Uzaemons Kiefer zittern wie eine niederländische Stimmgabel.
    «... und an jeder Wegkreuzung: Ich bin auf dieser Welt, aber nicht mehr von dieser Welt.»
    Eine Wildkatze schleicht an einer entwurzelten Ulme entlang, die quer über den Weg gestürzt ist.
    «Man sieht es in unseren Augen, dass wir nirgendwo hingehören ...» Shuzai runzelt die Stirn.
    Die Wildkatze blickt die Männer unerschrocken an und gähnt.
    Sie springt hinunter auf einen Felsen, trinkt aus dem See und verschwindet.
    «Manchmal wache ich nachts auf», sagt Shuzai, «und seine Hände würgen mich.»
     
    Uzaemon hat sich oberhalb des Weges in einem tiefen Krater versteckt, der von der Witterung ausgehöhlt wurde wie der Abdruck eines Backenzahns. Bei ihm sind zwei der Söldner: Kenka, ein geschmeidiger Mann mit schnellen, flüssigen Bewegungen, und Muguchi, ein untersetzter, wortkarger Geselle mit gespaltener Lippe. Aus dem Krater sehen sie ein Stück vom Torhaus auf halber Strecke, das nur einen Pfeilschuss weit entfernt liegt. Weiter oben, über dem Steilhang, warten Shuzai und vier seiner Männer auf den Wachwechsel. Am anderen Flussufer prescht etwas durch den Wald.
    «Ein Wildschwein», murmelt Kenka. «Wird wohl ein alter dicker Keiler sein.»
    In der Ferne erklingt kaum vernehmbares Glockenläuten, vermutlich vom Shiranui-Schrein.
    Der Kahle Gipfel hängt unter dicken, zerklüfteten Wolken am Himmel, unwirklich wie eine Theaterkulisse.
    «Regen ist gut», bemerkt Kenka, «sofern er sich Zeit lässt, bis die Sache abgeschlossen ist: Er wischt unsere Spuren fort, lässt die Flüsse ansteigen, erschwert den Pferden das Vorankommen und ...»
    «Stimmen?» Muguchi gibt ihnen ein Zeichen, still zu sein. «Horcht - drei Männer ...»
    Mindestens eine Minute lang hört Uzaemon nichts, aber dann ist die verbitterte Stimme unter ihnen auf dem Weg ganz nahe. «Vor der Hochzeit hieß es: ‹Nein, ich gehöre erst dir, wenn wir verheiratet sind.› Jetzt sind wir verheiratet, und es heißt: ‹Nein, ich bin nicht in Stimmung, Pfoten weg.› Ich habe doch nur versucht, ein bisschen Vernunft in sie reinzuprügeln, so wie es jeder Ehemann tun würde, aber seitdem ist der Dämon, der in der Frau des Schmieds sitzt, auf meine übergesprungen, und sie würdigt mich keines Blickes mehr. Ich kann mich nicht mal von der Giftschlange scheiden lassen, denn dann holt ihr Onkel sich sicher sein Boot zurück, und was mache ich dann?»
    «Dann sitzt du auf dem Trocknen», sagt einer seiner Begleiter, «ganz einfach.»
    Die drei nähern sich dem Tor. «Mach auf, Buntarō», ruft einer. «Wir sind’s.»
    «Ach so, ‹wir›!?» Der Schrei klingt gedämpft. «Und wer ist ‹wir›?»
    «Ichirō, Ubei und Tōsui», antwortet einer, «und Ichirō schimpft über seine Frau.»
    «Für die ersten drei haben wir Platz, aber die Frau bleibt draußen.»
     
    Zehn Minuten später kommen die drei abgelösten Wachen aus dem Torhaus. «Mach schon, Buntarō», sagt der eine, als sie in Hörweite sind, «erzähl uns die deftigen Einzelheiten.»
    «Die gehen nur mich, Ichirōs Frau und seinen ehrenwerten Futon etwas an.»
    «Verschlossen wie eine Jungfrau, du ...» Die Stimmen werden leiser und verklingen in der Ferne. Uzaemon, Kenka und Muguchi beobachten das Tor und lauschen.
    Minuten folgen auf Minuten, folgen auf Minuten, folgen auf Minuten ...
    Es wird langsam dunkler, aber die Sonne geht doch nicht unter.
    Hier stimmt etwas nicht!, zischt die Angst in Uzaemon.
    Muguchi meldet: «Geschafft!» Ein Torflügel öffnet sich. Eine Gestalt erscheint und winkt. Als Uzaemon den Abhang hinuntergeklettert ist, sind die anderen schon fast beim Torhaus. Kenka wartet am Eingang und flüstert: «Kein Wort.» Uzaemon betritt einen geschützten Vorraum. Dahinter erstreckt sich ein länglicher, auf Pfählen über den Fluss gebauter Raum. Er sieht einen Ständer mit Spießen und Streitäxten, einen umgestülpten Kochtopf und ein schwelendes Feuer. Von einem Balken baumeln an Seilen drei große Säcke. Der erste Sack bewegt sich, im zweiten zeichnet sich ein Ellbogen oder ein Knie ab. Nur der dritte Sack hängt still, als wären Steine darin.
    Bara säubert sein Wurfmesser mit einem

Weitere Kostenlose Bücher