Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
Vom Netzwerk:
blutbeschmierten Lappen ...
    Unter ihnen stößt der Fluss menschliche Sprachfetzen aus.
    Er ist nicht durch dein Schwert gestorben, denkt Uzaemon, aber er ist gestorben, weil du hier bist.
    Shuzai führt Uzaemon durch das hintere Tor. «Wir haben ihnen gesagt, dass wir ihnen nichts tun wollen und dass niemand verletzt werden muss. Und dass Samurai sich nicht ergeben können, Bauern und Fischer aber schon. Daraufhin ließen sie sich bereitwillig fesseln und knebeln, aber einer versuchte, uns zu überlisten. Da drüben an der Seite gibt es eine Falltür in den Fluss. Er sprang darauf zu und hätte sie fast erreicht. Wäre er entkommen, wäre das verheerend für uns gewesen. Baras Wurfmesser hat ihm den Hals durchbohrt, und Tsuru konnte gerade noch verhindern, dass er durch die Falltür fiel und nach Kurozane hinuntergespült wurde.»
    Ob Ichiros Frau, überlegt Uzaemon, jetzt Ehebrecherin und Witwe gleichzeitig ist?
    «Er hat nicht gelitten.» Shuzai fasst ihn am Arm. «Er war innerhalb von Sekunden tot.»
    Nachts wird die Mekura-Klamm zu einem urzeitlichen Ort. Der zwölfköpfige Stoßtrupp bewegt sich im Gänsemarsch vorwärts. Der Weg schmiegt sich oberhalb des Flusses an die steilen Felsen. Das schmerzvolle Knarren der Birken und Eichen weicht schwer atmendem Immergrün. Shuzai hat eine Neumondnacht gewählt, aber die Wolken lösen sich auf, und das Leuchten der Sterne überzieht die Finsternis mit einem goldenen Schimmer.
    Er hat nicht gelitten , denkt Uzaemon. Er war innerhalb von Sekunden tot.
    Er setzt einen wunden Fuß vor den anderen und versucht, nicht zu denken.
    Ein ruhiges Leben als Lehrer , Uzaemon erblickt eine mögliche Zukunft, an einem ruhigen Ort ...
    Er setzt einen wunden Fuß vor den anderen und versucht, nicht zu denken.
    Vielleicht hat sich der getötete Wachmann auch nichts als ein ruhiges Leben gewünscht ...
    Seine Begeisterung, an dem Angriff beteiligt zu sein, ist verschwunden.
    Der Geist seines Geistes spielt ihm immer wieder die Szene vor, wie Bara das Messer am blutbeschmierten Lappen abwischt - wieder und wieder, bis der Trupp zur Todoroki-Brücke kommt.
    Shuzai und Tsuru beraten sich, wie sie die Brücke später am besten zerstören.
    Im Zedernbaum oder dort drüben in der Tanne schreit eine Eule ... einmal, zweimal, nah ... fort.
    Die Schreinglocke schlägt laut und nah die späte Stunde des Hahns. Noch vor dem nächsten Läuten , denkt Uzaemon, ist Orito frei. Die Männer maskieren sich mit schwarzen Tüchern; nur ein Schlitz für Augen und Nase bleibt frei. Sie gehen vorsichtig weiter. Sie rechnen zwar nicht mit einem Hinterhalt, aber sie kalkulieren die Möglichkeit ein. Als unter Uzaemons Fuß ein Zweig knackt, drehen sich die anderen mit finsteren Blicken zu ihm um. Der Anstieg wird flacher. Ein Fuchs bellt. Sie kommen zu Torī-Toren, die wie ein Tunnel den Berg hinaufführen. Der Wind bläst von der Seite. Die Männer bleiben stehen und versammeln sich um Shuzai. «Der Schrein liegt vierhundert Schritte weiter den Berg hinauf ...»
    «Junrei-san.» Shuzai wendet sich an Uzaemon. «Du wartest hier. Denke an die weisen Worte: ‹Man bezahlt eine Armee für tausend Tage, um sie einen Tag einzusetzen.› Dieser Tag ist heute. Versteck dich abseits des Weges, aber halte dich warm. Du bist weiter gekommen als die meisten ‹Kunden›, es ist also keine Schande, hier zu warten. Sobald unser Vorhaben abgeschlossen ist, lasse ich dich holen, doch bis dahin halte dich fern vom Schrein. Sei unbesorgt. Wir sind Krieger. Sie sind nur eine Handvoll Mönche.»
     
    Uzaemon steigt über steiniges Eis und verwehte Piniennadeln zu einer nahen Senke, die ihm Schutz vor dem scharfen Wind bietet. Um sich warm zu halten, macht er so lange Kniebeugen, bis seine Schenkel schmerzen. Der Nachthimmel ist ein nicht zu entzifferndes Manuskript. Das letzte Mal hat er in den Sternenhimmel geblickt, als er mit de Zoet auf dem Wachtturm von Dejima stand. Das war im vergangenen Sommer, als das Leben noch einfach war. Er stellt sich eine Abfolge von Bildern mit dem Titel Die unblutige Befreiung von Aibagawa Orito vor: Er sieht, wie Shuzai und drei Samurai die Mauer erklimmen. Das nächste Bild sind drei überrumpelte Mönche, dann sieht er den obersten Mönch, der durch den alten Innenhof eilt und murmelt: «Fürst Enomoto wird verärgert sein, aber was bleibt uns anderes übrig?» Orito wird geweckt und gebeten, sich wandertaugliche Kleidung anzuziehen. Sie bindet sich ein Kopftuch um das schöne, verbrannte

Weitere Kostenlose Bücher