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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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«weil er Sklavenarbeit verrichtet.»
    «Was halten Sie davon», Lacy pult sich mit seiner Gabel im Ohr, «wenn wir zu seiner Erheiterung eine Theatervorstellung geben? Vielleicht können wir Othello aufführen.»
    «Laufen wir nicht Gefahr», gibt van Cleef zu bedenken, «das Entscheidende aus den Augen zu verlieren? Nämlich, dass ein Sklave heute versucht hat, zwei unserer Kollegen zu ermorden?»
    «Wieder ein ausgezeichneter Einwand», sagt Fischer, «wenn ich das bemerken darf.»
    «Sjako», Marinus legt die Daumen zusammen, «bestreitet, seine Gegner angegriffen zu haben.»
    Fischer lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und stößt ein «Pah!» in Richtung Kronleuchter aus.
    «Sjako sagt, die beiden weißen Herren hätten sich völlig grundlos auf ihn gestürzt.»
    «Der Halunke», knurrt Fischer, «ist ein Lügner der dreckigsten Sorte.»
    «Alle Schwarzen lügen», Lacy klappt seine Schnupftabaksdose auf, «so wie Gänse Schleim scheißen.»
    «Warum», Marinus legt die Pfeife in den Pfeifenständer, «hätte Sjako sie angreifen sollen?»
    «Wilde brauchen kein Motiv!» Fischer spuckt in den Spucknapf. «Leute wie Sie, Dr. Marinus, sitzen bei Ihren Zusammenkünften da, nicken weise und schwafeln über den wahren Preis des Zuckers in unserem Tee, den uns ein ‹fortentwickelter Neger› in Samt und Seide bringt. Ich aber wurde nicht in schwedischen Gärten herangezüchtet: Ich habe im Dschungel von Surinam gelebt, wo man den Neger in seiner natürlichen Umgebung findet. Verdienen Sie sich eine von diesen hier ...», Fischer knöpft das Hemd auf und zeigt eine große Narbe über dem Schlüsselbein, «... und dann erzählen Sie mir, ein Wilder habe eine Seele, nur weil er wie ein Papagei das Vaterunser aufsagen kann.»
    Lacy blickt beeindruckt auf die Narbe. «Wo haben Sie sich denn dieses hübsche Andenken zugelegt?»
    «Während meiner Genesung in Goed Accoord», antwortet Fischer mit finsterem Blick auf Marinus, «einer Pflanzung am Commewijne, zwei Tagesreisen flussaufwärts von Paramaribo. Meine Einheit war ausgerückt, um das Tal von ausgerissenen Sklaven zu säubern, die sich zu räuberischen Banden zusammengerottet hatten. Die Siedler nennen sie ‹Rebellen›: Ich nenne sie Ungeziefer. Wir hatten schon viele ihrer Nester und Yamsfelder ausgeräuchert, als wir von der Trockenzeit überrascht wurden. Nicht einmal in der Hölle gibt es ein dunkleres Loch. Keiner meiner Männer blieb von Beriberi oder Ringelflechte verschont. Die Hausschwarzen auf Goed Accoord nutzten unsere Schwäche aus, und am dritten Tag drangen sie in der Morgendämmerung ins Haus ein und griffen uns an. Die verräterischen Nattern krochen zu Hunderten aus ihren Schlammlöchern oder ließen sich von Bäumen fallen. Meine Männer und ich wehrten uns tapfer mit Musketen, Bajonetten und den bloßen Händen, aber dann traf mich ein Streitkolben am Schädel, und ich wurde ohnmächtig. Als ich nach Stunden zu mir kam, war ich an Händen und Füßen gefesselt. Mein Kiefer war - wie sagt man? - ausgerenkt. Ich lag zwischen den anderen Verwundeten im Salon. Einige flehten um Gnade, aber dieser Begriff ist dem Neger fremd. Der Sklavenanführer erschien und befahl seinen Schlächtern, den Männern für die Siegesfeier die Herzen herauszuschneiden. Und das taten sie ...», Fischer schwenkt sein Bier im Glas herum, «... langsam, ohne die Opfer vorher zu töten.»
    «So viel Niedertracht und Barbarei», sagt van Cleef feierlich, «spottet jeder Gottgläubigkeit.»
    Vorstenbosch schickt Philander und Weh nach unten, damit sie einige Flaschen Rheinwein holen.
    «Meine weniger glücklichen Kameraden, der Schweizer Fourgeoud, DeJohnette und mein Busenfreund Tom Isberg erduldeten die Leiden Christi. Ihre Schreie werden mich bis an mein Lebensende verfolgen, und ebenso das Gelächter der Schwarzen. Sie warfen die Herzen in einen Nachttopf, nur eine Handbreit von der Stelle entfernt, wo ich auf dem Boden lag. Im Zimmer stank es wie in einem Schlachthaus; die Luft war schwarz von Fliegen. Es war schon dunkel, als ich an die Reihe kam. Ich war der Vorletzte. Sie warfen mich auf einen Tisch. Trotz meiner Furcht stellte ich mich tot und betete zu Gott, er möge meine Seele schnell zu sich holen. Einer der Schwarzen rief: ‹Son de go sleeby caba. Mekewe liby den tara dago tay tamara.› Das bedeutet, dass die Sonne schon untergegangen war und dass sie sich die beiden letzten ‹Hunde› für den nächsten Tag aufsparen wollten. Draußen schlugen die Trommeln

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