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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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murmelnd und die Situation überspielend in den Salon zurück.
    Theodor Tollhoff senkte vor Jocelyn den Blick und hob abwehrend die Hände.
    Nur ein paar Schritte, und Jocelyn hätte unmittelbar vor ihr gestanden. Betty spürte, wie die Röte ihr ins Gesicht schoss.
Dann drehte sie sich um und stürzte so, wie sie war, die Dienstbotentreppe hinunter. Lieber noch wäre sie zu Staub zerfallen.
    Doch der Schrei des Pelzhändlers hatte hier unten keineswegs alle aufgeschreckt. Hier unten in den Kellern schwang die Welt in einem anderen Takt. Die Mädchen saßen laut palavernd um den Tisch herum. Als Betty sich näherte, hoben sie die Köpfe. Tränen tropften über ihr Gesicht. Das Blut in ihrer Hand klebte.
    Jungfer Siebenschön reckte den Hals und blickte auf die Spange in ihrer Hand. »Wie ich sehe, hast du bei deinem Beutezug in die Mädchenkammern noch etwas anderes erbeutet als die Brosche von Mieke.« Sie wandte sich zu Mieke. »Du hattest doch recht. Es ist gut, dass du ihr nachgegangen bist. Sonst hätten wir niemals erfahren, dass wir hier eine Diebin unter uns haben!«
    Mieke sah Jungfer Siebenschön mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck an. »Und habe ich es nicht gesagt, dass sie zudem noch auf dem dunklen Hof herumpoussiert? Seht sie euch nur an. Den Rock geschürzt und die Beine blank. Eine Diebin und Hure zugleich!« Sie reckte Betty die Hand entgegen. »Dieses Schmuckstück kannst du mir am besten gleich wiedergeben. Und dann hätte ich noch gern gewusst, wo meine Filigranbrosche ist!« Der Triumph machte ihre Stimme leicht wie eine Schwalbe. Sie schnappte sich die Spange, wie eine Echse eine Fliege fängt. Nun drehte sie sie bewundernd in den Händen. Betty konnte keinen Widerstand mehr leisten, nicht gegen die Vorwürfe und nicht dagegen, dass man ihr die chinesische Spange weggenommen hatte.
    Jungfer Siebenschön nickte und tätschelte Mieke die Wange, während die anderen Mädchen die Szene voller Schrecken beobachteten. »Du hast es ja gleich gesagt, kleine Mieke. Ich muss
dir Abbitte leisten! Da ist man nun so gutmütig und nimmt so eine Deern auf, die schon Ärger in ihrer vorigen Stellung hatte. Und dann das. So etwas Undankbares!« Sie seufzte. »Menschen ändern sich nicht. Jedenfalls nicht zum Guten!«
    Betty Henningson starrte die Mädchen an. Sie wollte den Mund öffnen, um sich zu verteidigen, aber sie konnte es nicht. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Sie war wie zu Eis gefroren, nicht anders als die erlegten Tiere in den Eiskellern der Tollhoffs.
    Minuten verstrichen, ohne dass jemand etwas gesagt hätte. Viele der Mädchen hatten die Köpfe gesenkt und blickten auf ihre Hände. Es ist wie bei einer Trauerfeier, dachte Betty Henningson, ich bin tot.
    Konnte sie ihren eigenen Atem noch spüren? Oben im Haus hörte man einen Schrei, dem ein dumpfer Aufprall folgte. Stürzten die Mauern über ihr ein? Da drehte Betty sich plötzlich um und lief los, warf bei der Flucht einen Stuhl um, der scheppernd zu Boden ging, stieß ein Honigglas vom Schrank, verhakte sich mit einem ihrer immer noch hochgerafften Röcke am Henkel eines Milchtopfes. Sie rannte geradewegs zur vorderen Kellertür hinaus und schlug sie laut hinter sich zu.
    Die Straßen waren leer um diese Zeit. In der Ferne hörte man das Hufgetrappel eines Pferdes. Eine Uhr schlug. Es war kalt. Ein sanfter Abendwind wehte durch den Jungfernstieg. Betty dachte nicht lange nach. Sie rannte wie um ihr Leben. Sie lief und lief, bis die Luft in ihren Lungen brannte. Niemand hätte sie einholen noch verfolgen können. Die Schmach machte sie schnell wie einen Schatten und unsichtbar wie den Wind.

3
    Die Kälte des nahen Herbstes schien vom Himmel herunter auf die Erde zu fallen wie schwarzer Schnee. Betty war nicht wissentlich in eine bestimmte Richtung gelaufen. Sie war gelaufen, um vielleicht ihrem Körper entkommen zu können und ihren Gedanken, in denen die Scham über das, was geschehen war, immer noch kochte. Doch als sie aufsah, stand sie vor der Tür des einzigen Menschen, dessen Adresse sie in der Stadt kannte. Es dauerte mehrere Minuten, bis Ismael Aberdira auf ihr Läuten hin öffnete. Und auch dann schien er alles andere als erfreut zu sein, sie zu sehen.
    Die Dielen unter seinem schweren Schritt knarrten, als er in der halb geöffneten Tür stand und sich offenbar erst überlegen musste, wie er reagieren sollte. Fast sah er aus, als ob er noch ausgehen wollte. Der Anzug aus ritterspornfarbener Seide war mit einem scharlachroten

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