Die Teerose
eine vorübergehende Laune. Aber jetzt wollte er, daß er wieder zurückkam. Er werde einundzwanzig, hatte er geschrieben, und es sei an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Sein Vater wollte die Bank vergrößern, in ganz England und Europa Niederlassungen eröffnen. Die Geschäftswelt ändere sich, sagte er. Er wolle Albion an die Börse bringen, und sein Sohn müsse ihm bei dem Aufbau helfen.
Als Nick sich weigerte zurückzukommen, stellte er seine Zahlungen an ihn ein. Als das nichts fruchtete, drohte er mit Enterbung. Wenn das passierte, entging ihm ein ungeheures Vermögen: Millionen Pfund in Bargeld, Treuhandvermögen und Investitionen. Ein Stadthaus in London, ein Landgut in Oxfordshire, Besitztümer in Devon und Cornwall, ein Sitz im Oberhaus. Er hatte seinem Vater einen Vorschlag gemacht: Wenn er ihm ein wenig mehr Zeit gönnte, nur diesen Sommer noch, würde er im September zu einer Aussprache nach London kommen. Er war einverstanden gewesen. Jetzt war Anfang Juli. Er und Henri würden in zwei Tagen nach Arles fahren, und in der kommenden Woche würde er versuchen herauszufinden, was er tun sollte.
Ein eisiger Wind fegte durchs Droschkenfenster herein. Noch immer tief in Gedanken versunken, merkte Nick nichts davon. Er und Henri hatten in Arles ein wundervolles altes Haus gemietet. Sie machten Wanderungen, schliefen nachts wie die Murmeltiere, wachten ausgeruht auf und schworen sich, nie mehr ins laute, schmutzige Paris zurückzukehren. Während des Tages malte Henri, Nick korrespondierte mit Künstlern oder Kunden oder las. Manchmal gingen sie in die Stadt, um in einem Café zu Abend zu essen, aber meistens kochte Henri. An dem Abend, an dem er ihm seine Entscheidung mitteilte, hatte Henri ihm eine Zwiebeltarte gemacht. Nick war nicht in der Lage gewesen, einen Bissen hinunterzubringen …
Am Nachmittag, während Henri malte, war er zur Post gegangen und hatte seinen Entschluß seinem Vater brieflich mitgeteilt. Dann hatte er sich in der Nähe auf eine Bank gesetzt und gewartet, bis die Post schloß und der Postmeister mit dem Sack Briefe für den Zug nach Paris herauskam, und er wußte, daß er seinen Brief nicht zurückholen konnte. Als er nach Hause kam, zog Henri gerade die Tarte aus dem Ofen. Er versuchte, mit ihm zu reden, aber Henri hatte ihm das Besteck in die Hand gedrückt und ihn gebeten, den Tisch zu decken.
Während Henri von seinem Tag erzählte, nahm Nick einen Schluck Wein und sah ihn lange an.
Henri bemerkte, daß er sein Essen nicht anrührte.
»Warum ißt du nichts? Schmeckt dir die Tarte nicht?«
Er antwortete nicht. Er fühlte sich wie zugeschnürt, als wäre alle Luft aus ihm herausgepreßt worden.
»Nicholas, was ist los?«
»Henri, ich …« Er brachte die Worte nicht heraus. »O Gott«, seufzte er.
»Sag mir, was los ist! Bist du krank?«
Er sah Henri an und griff nach seiner Hand. »Ich … ich hab heute an meinen Vater geschrieben …« Er sah, wie Henri erbleichte, und fügte schnell hinzu: »… ich hab ihm geschrieben, ich würde … nicht nach Hause kommen.«
Henri kniete sich neben Nicks Stuhl nieder und berührte seine Wange. Nick zog ihn an sich, bis er spürte, daß er schluchzte. »Henri, warum weinst du denn?« fragte er. »Ich dachte, du wärst glücklich …«
»Ich bin glücklich, du Dummkopf. Meinetwegen glücklich. Ich weine um deinetwegen … wegen allem, was du verloren hast. Dein Zuhause, deine Familie … so viel.«
»Sei still, ist schon gut. Du bist jetzt mein Zuhause. Und meine Familie.«
In dieser Nacht hatten sie noch mehr Tränen vergossen, aber auch gelacht. Nick wußte, daß ihn seine Entscheidung noch eine Weile bedrücken würde. Aber es war die richtige Entscheidung.
Mitte August kehrten sie nach Paris zurück. Nick stürzte sich wieder in seine Arbeit, entschlossen, seinen Künstlerfreunden das Geld und die Anerkennung zukommen zu lassen, die ein Verkauf einbrachte. Auch Henris Arbeit begann sich zu verkaufen. Zwei Bilder bei Durand-Ruel, drei bei Roupil. Im September, als Nick immer noch nichts von zu Hause gehört hatte, glaubte er, sein Vater habe seine Drohung wahr gemacht und wünsche keinen weiteren Kontakt mit ihm. Das schmerzte ihn zutiefst, aber er konnte es ertragen. Er hatte bei Henri eine beständige Liebe gefunden, und das brauchte er am meisten. Damals glaubte er, ihr Glück würde für immer dauern …
Die Droschke blieb mit einem Ruck auf der Ostseite des Irving Place stehen, und Nick wurde endgültig aus
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