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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Kohlen auf.
    »Was macht Millies Beutel hier?« fragte sie ärgerlich.
    »Na ja … sie kommt Harry besuchen …«
    »Wie oft?«
    »Ich weiß es nicht! Letzten Sonntag. Ein paarmal während der Woche. Und wie’s aussieht, war sie heute auch da.«
    »Ich verstehe.«
    »Was verstehst du?« fragte er, noch immer im Feuer stochernd.
    »Sie kommt nicht Harry besuchen, sondern dich.«
    »O Fiona«, seufzte er. »Fang nicht wieder damit an.«
    Fiona war wütend. Millie Peterson, diese hinterhältige Person, kam jedes Wochenende hierher und sah Joe auch während der Woche, wohingegen sie ihn vierzehn Tage nicht zu Gesicht bekam.
    »Was machst du, wenn sie zu Besuch kommt?«
    »Weiß nicht. Nichts Besonderes.«
    Sie zog eine Augenbraue hoch.
    »Na schön, wir unterhalten uns, wir alle, oder machen einen Spaziergang. Fiona, schau mich nicht so an. Millie ist ein nettes, harmloses Mädchen. Mir ist langweilig immer so allein. Und wenn ich ein paar Stunden mit Millie und Harry verbring, lenkt mich das ein bißchen ab. Das ist alles. Harry ist ein guter Kumpel, und Millie ist seine Cousine. Sie kommt ihn besuchen. Also, hör jetzt bitte auf damit und verdirb uns nicht den schönen Tag.«
    »Warum hast du mir nicht erzählt, daß sie hierherkommt?« fragte Fiona vorwurfsvoll.
    »Weil ich schon gewußt hab, daß du wieder an die Decke gehst. Hab ich Millie in die Stadt ausgeführt? Ist es Millie, die jetzt bei mir sitzt?«
    »Nein«, gab sie zu und begriff, daß sie sich wieder einmal albern aufführte, daß ihre Eifersucht wieder die Oberhand über sie gewann. Joe konnte nichts dafür, wenn Millie in die Wohnung kam, aber er begriff es einfach nicht: Millie würde ihre Seele verpfänden, um ihn zu kriegen. Aber sie würde sich deswegen nicht mit ihm streiten. Nicht heute, denn heute war ein besonderer Tag. Doch wenn sie sich entschlossen hatte, sich zurückhalten, hieß das nicht, daß sie die Augen vor Millies hinterhältigen Plänen verschloß. Dieser Beutel sprach Bände. Sie war genauso unbeirrbar hinter Joe her wie immer.
    Eine Weile saßen sie still da und starrten ins Feuer – Fiona auf dem Sessel, Joe auf dem Boden neben ihr. Sie strich ihm besänftigend durchs Haar und spielte mit seinen Locken. Er lehnte sich an ihre Beine und schloß die Augen. »Hat dir unser Tag heute gefallen?« fragte er.
    »Gefallen? Es war der schönste Tag, den ich je erlebt habe – wie ein Traum! Ich glaub, ich hab das Ganze noch gar nicht ganz begriffen und kann’s nicht erwarten, Ma davon zu erzählen. Es ist London, die gleiche Stadt, in der ich auch lebe, aber eine ganz andere Welt. Harrods und all die Geschäfte, Tee bei Fortnum’s, es hat mir den Atem geraubt. So viele Überraschungen!«
    »Also, da gibt’s noch eine«, sagte Joe und stand auf.
    Fiona sah zu, wie er zu seinem Bett ging, die Matratze anhob und eine alte Kakaodose herausholte. »Unsere Dose!« rief sie aus und richtete sich auf. »Laß sehen! Wieviel haben wir jetzt? Hier, ich hab einen Shilling, den ich dazugeben kann.«
    Joe ließ sich wieder neben ihr nieder, glättete ihren Rock über den Knien und leerte den Inhalt der Büchse in ihren Schoß. Er lächelte, als sie aufgeregt das Geld zu zählen begann. »Wie ein hungriges Eichhörnchen vor einem Häufchen Nüsse …«
    »Scht, Joe! Zwölf Pfund, zwölf Shilling, vier Pence … zwölf fünfzehn … zwölf achtzehn … neunzehn …«, zählte sie. Sie sah erstaunt zu ihm auf. »Dreizehn Pfund?«
    »Mach weiter, da ist noch mehr …«
    »Dreizehn sechs … vierzehn zehn … fünfzehn … Mein Gott, wir haben fünfzehn Pfund«, rief sie aus.
    »Wo kommt denn das alles her, wir hatten doch nur zwölf Pfund und sechs, als du weggegangen bist!«
    »Peterson bezahlt mir sechzehn Shilling die Woche, Fiona. Das gleiche, was er seinem Neffen zahlt«, sagte Joe. »Und wenn ich eine Auslieferung an ein Hotel oder ein Restaurant mach, gibt’s manchmal Trinkgeld. Mein Zimmer kostet nichts. Und ich geb nur wenig für Essen, Zeitung und gelegentlich ein Glas Bier aus. Das ist alles. Der Rest kommt in die Büchse.«
    »Joe, das ist so viel mehr, als wir gedacht haben, daß wir in der kurzen Zeit zusammenbringen werden … du hast so viel gespart … vielleicht können wir unseren Laden schon früher aufmachen«, stieß sie atemlos hervor. Sie redete so schnell, war so fasziniert von dem Gedanken an ihren Laden, daß sie nicht sah, wie er ein kleines Stück Seidenpapier aus der Westenjacke zog, und spürte kaum, daß er ihre

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