Die Templerverschwoerung
aufmachen und zu ihnen sprechen konnten, ob nun auf Hebräisch, Jiddisch oder Ladino. Stimmen, die lange verstummt waren.
Gershom war es gewohnt, dass die Leute sich nach ihm umdrehten. Seine Kleidung war ein Gemisch von Sachen, die Äthiopier, Europäer und jemenitische Juden tragen. Sein weißes Haar wuchs, von der Kippa kaum gebändigt, in Büscheln um seinen Kopf. Er führte sie in einen Raum, der bis zum Rand mit Büchern vollgestopft war. Da standen Bände auf Hebräisch, Aramäisch, Amharisch, Ge’ez, Englisch und Französisch. Sie waren zu hohen Stapeln aufgeschichtet, die jeden Augenblick umfallen konnten. Viele Regale waren unter dem Gewicht der zahllosen Bände zusammengebrochen.
»Ich wollte mir gerade eine Kleinigkeit zu essen machen«, sagte Gershom. Dabei grinste er, und Mariyam grinste zurück. Er machte sich ständig eine Kleinigkeit zu essen. Er bat sie, sich zwischen den Büchern niederzulassen und schuf ein wenig Platz auf einem kleinen Tisch.
»Einen Moment bitte«, sagte er dann, »ich hole nur rasch ein Tischtuch.« Er kam mit etwas zurück, das wie ein geweihtes Tuch wirkte, und breitete es auf dem Tisch aus. In der Mitte trug es eine Aufschrift in Hebräisch und rundherum war es mit einem Weintraubenmuster geschmückt.
»Dieses Tuch benutze ich nur am Sabbat und zu Jom Tov. Es stammt von meiner Großmutter mütterlicherseits. Wir haben sie in Aden begraben, bevor die Familie ausgewandert ist. Ich habe ihr Tischtuch geerbt.«
Während er redete, lief er zwischen der kleinen Küche und seinem Wohnraum hin und her. Er brachte Kuchen, Plätzchen und Schokoladenriegel, verteilte sie auf kleine Teller, dann bereitete er Kaffee und eine große Kanne Tee zu. Der Tee war von PG Tips und wurde auf die englische Art mit Milch und Zucker in dünnen Porzellantassen mit kleinen Silberlöffeln serviert.
»Gershom wäre gern Engländer«, sagte Mariyam. »Er ist in der britischen Kolonie Aden aufgewachsen und hat eine gute englische Schule besucht. Als Teenager wäre er beinahe zur anglikanischen Kirche übergetreten, stimmt’s, Gershom?«
Der Weise lächelte.
»In meinem Inneren bin ich immer noch Anglikaner«, meinte er. »Jude zu sein ist manchmal ziemlich anstrengend: Man darf keinen Schinken essen und muss immer darauf achten, dass alles koscher ist. Als Anglikaner wäre ich viel glücklicher. Ich hätte sogar Priester werden können. Ich besitze herrliche Aufnahmen vom Chor des King’s College. Ich spiele sie alle Weihnachten. Ich hoffe, du auch, Mariyam. Oder ist Cambridge für dich schon Vergangenheit? Jetzt musst du mir aber erzählen, was dich zu mir führt. Es tut so gut, wieder einmal dein Gesicht zu sehen, meine Liebe.«
Nun berichteten Mariyam und Conor abwechselnd, wasgeschehen war. Ihr Bericht hatte keinen guten Anfang und kein gutes Ende. Gershoms Fröhlichkeit und unverhüllte Freude über das Wiedersehen mit einer früheren Studentin waren bald dahin. Seine Miene war erst erstaunt, dann ungläubig und schließlich sehr verstört. Er unterbrach sie nicht und stellte auch keine Fragen, obwohl er vieles nicht verstand.
Als sie fertig waren, ließ sich Gershom Zeit. Lange saß er schweigend da, die Hände im Schoß, eher wie ein Buddha als ein Gelehrter, der sich mit alten jüdischen Texten auskannte. Nach gründlicher Überlegung stand er auf und brühte frischen Tee für alle. Diesmal brachte er eine große Kanne Earl Grey.
»Das muss ich erst einmal verdauen«, sagte er schließlich, während er Kuchen und Plätzchen herumreichte, »aber das geht nicht so schnell. Der Gaon von Vilna sagte, der Tempelberg sei stets fünfhundert mal fünfhundert Ellen groß gewesen. Dieses Gebiet schließt sowohl den Felsendom als auch die Al-Aksa-Moschee ein. Alle Aschkenasi-Rabbiner der modernen Zeit wie HaRav und Avigdor Neventzal haben verboten, den Berg zu betreten. Aber im 12. Jahrhundert stieg Rabbi Moses ben Maimon hinauf, predigte auf dem Berg und erklärte es zur Mitzvah, also zum Gebot, den heiligen Ort zu verehren. Als er starb, hieß es, die Bundeslade sei verschwunden. Damit meinte man, Rabbi Moses ben Maimon selbst sei wie die Bundeslade gewesen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass das Kodesh ha-Kodashim, das Allerheiligste der Juden, den Felsen innerhalb des späteren Domes eingeschlossen hat.«
Mariyam wurde ungeduldig.
»Gershom, lieber Freund«, sagte sie, »das ist alles sehr interessant, bringt uns aber keinen Schritt weiter. Conor und ich sind völlig durcheinander.«
Er
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