Die Templerverschwoerung
Stelle, wo er gestanden hatte, war noch nicht von frischem Staub bedeckt.
Wieder hörte er Schritte hinter sich trappeln. Er fuhr herum, um zu sehen, wer da lief, aber vergebens. Erneut glaubte er, die Schritte eines Kindes vernommen zu haben, doch das konnte eigentlich nicht sein: Mönche haben keine Kinder, und Klöster sind keine Kindergärten. Dann dämmerte ihm, dass es in allen Klöstern Novizen gab. Mariyam hatte ihm erzählt, dass äthiopische Klöster Jungen bereits im Alter von zehn Jahren aufnahmen. Die Mörder hatten möglicherweise einen Novizen übersehen, und der lief jetzt vor ihm davon, weil er glaubte, er gehöre zu ihnen und sei zurückgekommen, um auch ihn noch aufzuspüren und zu töten.
Er trat wieder auf den Gang hinaus und rief mit lauter Stimme: »Wer du auch bist, hab keine Furcht. Ich bin kein Feind, ich bin ein Freund.«
Wieder die schnellen Schritte, begleitet von einem merkwürdigen Hall, der sich jetzt in anderer Richtung entfernte. Da sah er einen Durchschlupf im Stein, den er bisher nicht bemerkt hatte und der in einen weiteren Gang führte. Vorsichtig kroch er hindurch. Am Ende gab es wieder eine Tür, die ein Bild von Maria mit dem Kinde trug. Sie war aus dicken Brettern gefertigt sowie oben und unten mit Reihen dicker Bolzen versehen. An einer Seite erblickte er ein reichverziertes Messingschloss. Er glaubte, sie sei verschlossen, aber als er gegen sie drückte, ging sie mit einem schrillen Quietschen auf.
Er trat hindurch, und die Tür fiel hinter ihm zu. Als er die Taschenlampe hochhielt, sah er sofort, wo er sich befand. An den Wänden und überall in dem langgestreckten Raum waren riesige Reihen von Regalen aufgestellt, gefüllt mit Büchern, Handschriften und Holztafeln. Er ging an den Regalen entlang und ließ den Schein seiner Lampe über uralte Buchrücken gleiten, die gleich wieder im Dunkel verschwanden. Auch hier Spinnweben allerorten. Fette Spinnen hockten in den Regalen oder liefen über Handschriften, als suchten sie wie alte Gelehrte deren Inhalt zu erforschen. Von diesem Ort musste das Matshafa gekommen sein, ob nun mit Erlaubnis oder gestohlen, das würde er nie erfahren. Wie dem auch sei, für diese Handschrift hatten über ein Dutzend Menschen sterben müssen und vielleicht noch mehr, von denen er nichts wusste. Er fragte sich, ob die Mönche, die man in ihrer eigenen Kirche erhängt hatte, zu den Opfern gehörten, und wie viele Handschriften von unschätzbarem Wert noch auf diesen Regalen lagerten, die die Macht hatten, Menschen zu töten und Königreiche zu stürzen. Die Antwort war leicht zu erraten.
Er ging durch den Raum, schaute zwischen und hinter dieRegale, leuchtete mit seiner Lampe sorgfältig in alle Ecken und Winkel. Plötzlich hörte er ein Geräusch. Kein Fußgetrappel diesmal, sondern ein unterdrücktes Wimmern, als ob jemand mit letzter Kraft Schluchzer oder Schreckensschreie zu unterdrücken suchte. Das Wimmern eines Kindes. Wieder rief er, denn der Junge musste in der Nähe sein. Sicher war er in die Bibliothek geschlüpft, weil er hoffte, dort werde man ihn nicht finden. Als Conor rief, wurde das Wimmern des Jungen lauter. Gab es denn keine Möglichkeit, ihn zu überzeugen, dass er ihm nichts Böses wollte? Er musste ihn von hier fort und nach unten bringen, wo Mariyam auf Amharisch mit ihm sprechen und ihn beruhigen konnte. Das gelang einer Frau ohnehin sicher besser als ihm. Aber wie, zum Teufel, sollte er ihn greifen und ihn dorthin bringen, wo Mariyam auf ihn wartete?
7 Hell-Dunkel-Malerei aus der Zeit des Barock.
36. KAPITEL
Der Junge kauerte hinter dem letzten Regal. Er hatte sich unter einem Haufen Bücher und Papier verkrochen, aber sein Wimmern, das inzwischen in heftiges Schluchzen übergegangen war, verriet ihn.
»Ist ja gut, ist ja gut«, murmelte Conor so sanft er nur konnte. »Niemand tut dir etwas. Ich weiß, du hast viel durchgemacht, aber jetzt bist du in Sicherheit. Lass mich dir helfen.«
Er stellte die Lampe ab und griff in den Papierhaufen. Sofort hatte er den Jungen ertastet, aber als er ihn berührte, fuhr dieser hoch und wollte weglaufen. Conor hatte das erwartet. Als der Junge davonspringen wollte, erwischte Conor ihn am Bein und riss ihn zu Boden. Mit der freien Hand suchte er seinen Aufprall zu mildern. Dem Jungen entfuhr ein Schrei von Wut und Angst. Jetzt hatte Conor ihn am Arm gepackt, ließ das Bein los und griff in der Dunkelheit nach dem anderen Arm. Der Junge trat um sich und warf sich von einer Seite
Weitere Kostenlose Bücher