Die Templerverschwoerung
den Abgrund hinunter. Dorthin führte ihr Weg zurück in die Zivilisation. Er wusste, dass er Ferry dabei nicht mitnehmen konnte.
»Auf dieser Bundeslade lastet ein Fluch«, sagte er zu Mariyam. »Wie viele Leben hat sie schon gekostet? Und wie viele Menschen werden noch sterben?«
Sie griff nach seiner rechten Hand. Er nahm die Pistole in die linke und ließ sie lose herunterhängen. Fest drückten sie ihre Hände. Mariyam reagierte nicht auf seine Fragen und fürchtete auch keinen Fluch.
Da heulte es hinter ihnen auf. Conor fuhr herum und sah, wie Ferry mit ausgestreckten Armen – er hatte irgendwie die Fessel gelöst – auf sie zustürzte. Für Conor unsichtbar folgte ihm ein schmaler Schatten. Im letzten Moment warf sich Kebede von der Seite gegen den Amerikaner, gerade als dieser Conor und Mariyam über die Kante in den Abgrund stoßen wollte. Ferry stolperte, stürzte zu Boden, und die Wucht von Kebedes Aufprall fegte ihn über den Rand der Felswand. Eine Sekunde später folgte ihm der Junge, der seinen eigenen Schwung nicht abbremsen konnte, in die bodenlose Tiefe nach. Zwei Schreie ertönten, dann war nur noch Stille. Vom Aufprall ihrer Körper drang kein Laut nach oben.
38. KAPITEL
Daniel Ferry hatte ihnen nichts bedeutet. Sie hatten ihn gehasst und ihm den Tod gewünscht, aber dass er so plötzlich eingetreten war, schockierte sie beide. Der Junge Kebede hatte ihnen wenig bedeutet, denn sie hatten ihn kaum gekannt. Aber sein tapferer Tod, ob nun beabsichtigt oder zufällig, erschütterte sie bis ins Mark. Im Grunde kündigten diese Tode nur ihren eigenen an, denn vor sich sahen sie nichts als einen Sturz in die Tiefe oder unerwartete Schneefälle, die sie nicht überleben würden. Es dauerte lange, bis Conor den Mut fand, Mariyam in allen Einzelheiten zu beschreiben, was er in dem Kloster vorgefunden hatte.
»Sie haben die Bundeslade geraubt, wie du ja schon von Ferry weißt«, konstatierte er. Dann beschrieb er den Raum, wo sie gestanden haben musste. Alles deutete darauf hin, dass sie tatsächlich dort gewesen und vor kurzem fortgebracht worden war. Er suchte sich auszumalen, wie sie es bewerkstelligten, einen so sperrigen und schweren Gegenstand aus dem Gebirge heraus und zu seinem nächsten Aufbewahrungsort zu bringen.
»In den Kirchen hier«, erklärte Mariyam, »gibt es Gegenstände, die sie Tabotat nennen, was Lade bedeutet. So ein Behältnis ist etwa dreißig Zentimeter lang, ungefähr genauso breit und etwa zehn Zentimeter hoch. Hat dort etwas von der Art gestanden?«
»Nicht, wenn es die echte Bundeslade war. Die soll etwa 1,20 Meter lang, etwa 60 Zentimeter breit und ebenso hochgewesen sein. Sie ist vergoldet und hat einen mit zwei Cherubim geschmückten Deckel. Alles in allem eine ziemlich sperrige Sache. Sie könnte leicht herunterfallen und dabei kaputtgehen.«
»Ob sie das riskiert haben?«
»Sie müssen es riskiert haben. Die Lade ist nicht mehr in dem Kloster, und die Männer sind auch fort. Hätten wir doch eine Chance gehabt, Ferry eingehender zu verhören.«
Mariyam schüttelte den Kopf.
»Der hätte nichts gesagt. Er war ein Monster, aber bestimmt kein Feigling. Ich glaube trotzdem nicht, dass sie das Risiko auf sich genommen haben, dass die Bundeslade zerstört wird. Das heißt, sie können sie nicht auf Eseln hier herausbugsiert oder sie selber geschleppt haben. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, die Lade hier sicher herauszubringen.«
»Du denkst an einen Hubschrauber?«
Sie lächelte.
»Und so kommen auch wir hier wieder heraus. Gib mir dein Satellitentelefon.«
Er fand es in einer der Taschen seiner Kleidung und reichte es ihr. Sie tippte den Notruf 939 ein, und nach kaum einer halben Minute meldete sich eine Frauenstimme.
»Ich befinde mich im Simien-Gebirge«, sagte Mariyam. »Mit meinem Freund. Unser Esel ist in eine Schlucht gestürzt, und unser Bergführer mit ihm. Was sollen wir machen? Mein Telefon hat GPS. Soll ich Ihnen die Koordinaten mitteilen?«
Eine Stunde später tauchte der Hubschrauber auf. Es war ein alter Alouette III von Aerospatiale, der gerade genug Platz für sie beide bot. Die Crew bestand aus dem Piloten, einem Mann an der Winde und einem Rettungsassistenten. Währendder Hubschrauber weit über ihnen in respektvoller Entfernung von der Felswand schwebte, ließ der Mann an der Winde den Rettungsassistenten an einem Seil herunter, das Mariyam wie der Faden einer Spinne vorkam. Es war ihr, als presste eine Riesenfaust ihr Herz zusammen,
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