Die Teppichvölker: Roman (German Edition)
drin.«
Neuerliche Erschütterungen erfaßten den Saal, und Risse bildeten sich in einer Säule. Glurk ächzte leise. »Verschwinde von hier!« klang es tief aus seiner Kehle. »Ich kann das Ding nicht mehr lange halten.«
Der Boden zitterte.
»Ich … ich hole Leute und Stützbalken und so weiter!« erwiderte Snibril. »Bin gleich wieder da. Bleib hier! Geh nicht fort!«
Glurk stöhnte, als Snibril davonhastete.
Pismire wankte durch den Rauch, mit einem Stoffetzen vor dem Gesicht. Er führte einige verwirrte Deftmenen zu Glurk und bedeutete ihnen, unter dem Arm des Munrungs nach draußen zu kriechen.
»Warum bist du noch hier?« fragte der Schamane.
»Bin bald Teil einer Geschichte«, antwortete das Stammesoberhaupt.
Bane kam aus den wallenden Schwaden und preßte sich ein Tuch auf Mund und Nase. »Kommt! Brocando hat die Geheimtür geöffnet.«
»Hilf mir mit diesem Narren!« bat Pismire.
»Scheint eingeklemmt zu sein«, meinte Bane.
»Bin gleich ein Held«, schnaufte Glurk.
»Ach, sei still!« zischte der Schamane. »Das kommt davon, wenn man einen leeren Kopf mit irgendwelchen Geschichten füllt. Und überhaupt: Welch dumme Idee, sich so in die Tür zu stellen …«
Glurk drehte langsam den Kopf.
»Wie bitte?«
»Um sich auf diese Weise zu verhalten, muß man ein echter Narr sein«, erklärte Pismire. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals stürzte die Decke ein.
»Du eingebildeter, hochmütiger und dreimal verfluchter …«, begann Glurk. Er streckte das eine Bein, dann auch das andere und stemmte den Sturz des Portals hoch über den Kopf. Dann trat er vor und hielt den Zeigefinger unter Pismires Nase.
»Ich habe vielen Deftmenen das Leben ge…« Es gelang ihm nicht, den Satz zu beenden, bevor er fiel.
Der Schamane nickte zufrieden. »Na bitte, es hat geklappt. Beeilen wir uns. Es dauert nicht mehr lange, bis auch die Wände nachgeben.«
Sie griffen nach Glurks Armen und wichen beiseite, als der Oberbalken auf den Boden prallte und zerbarst. Pismire blickte zur Decke hinauf.
»Schnell!«
Brocando stand an der geheimen Pforte.
»Kommt!«
Glurk hustete, und Pismire drückte ihm einen Lappen in die Hand.
»Auf Mund und Nase halten!« wies er das Stammesoberhaupt an. »Feuchte Tücher helfen gegen den Rauch – das ist eine wichtige Sicherheitsinformation.«
»Riecht nach Wein«, entgegnete Glurk mühsam, als sie ihn durch das Holzportal dirigierten.
»Konnte kein Wasser finden«, erklärte Pismire. »Und jetzt – die Treppe runter!«
Die ganze Decke stürzte ein.
Sie liefen die Stufen hinunter und trugen Glurk dabei wie einen Rammbock zwischen sich. Das Donnern und Krachen ließ allmählich nach, und schließlich war nur noch das Geräusch ihrer hastigen Schritte zu hören.
»Noch nicht aus den Haaren!« schnaufte Brocando.
»Wie … meinst … du … das?« keuchte Pismire.
»Keine Fackeln!«
Der Schamane hatte nur genug Atem für ein kurzes Schnaufen.
»!«
Sie erreichten die kleine Tür am Ende der Treppe, lagen dort in der Dunkelheit und schnappten nach Luft …
»Nun, eins steht fest«, erklang Brocandos Stimme. »Wir können nicht zurück. Das Portal befindet sich jetzt unter einem Berg aus Schutt.«
»Kannst du im Dunkeln den Weg zur Statue finden?« fragte Bane.
»Meine Güte, ich bin nie zuvor hier unten gewesen!« erwiderte der Zwergenkönig.
»Bestimmt gibt es noch andere Ausgänge«, vermutete Pismire.
Er dachte an die tiefen Abgründe und gewaltigen Höhlen in Unterlage, an die Geschichten von den dort lauernden Ungeheuern. Natürlich hielt er ihre Existenz für ausgeschlossen. Er erzählte jene Geschichten, weil die Weitergabe verbaler Mythologie für eine sich entwickelnde Kultur sehr wichtig war, aber er glaubte nicht an übernatürliche Schauerwesen. Pismire schauderte plötzlich und hoffte, daß sie ebensowenig an ihn glaubten.
Er hörte, wie sich die Tür mit einem leisen Knarren öffnete.
»Wenn wir zusammenbleiben und bei jedem Schritt aufpassen, müßten wir eigentlich sicher sein«, sagte Brocando. Seine Stimme vibrierte. »Wir sind vier. Wer würde es wagen, uns anzugreifen?«
»Viele Geschöpfe.«
»Abgesehen davon, meine ich.«
Als eine Stunde nach der anderen verging, wurde Glurk immer schwerer. Vorsichtig schoben sie ihn in der Finsternis über schmale Pfade und zerrten ihn durch gewaltige Höhlen, die nur durch eine feine Veränderung in der Luft als solche erkennbar waren. Sie trugen ihn mit dem Kopf oder mit den Füßen voran,
Weitere Kostenlose Bücher