Die Terranauten 031 - Der Einsame von Ultima Thule
Gleittüren seines Wohnbereichs waren erst vor zwei Wochen ausgewechselt worden und bewegten sich absolut lautlos. Die elektronisch gesteuerten Verriegelungen und Alarmsperren reagierten nicht, als der späte Eindringling in Gayheens üppigen Wohnraum trat und sich suchend umblickte. Der Boden bestand aus stark federndem Protopmaterial, das jedes Geräusch verschluckte.
Der Mann blieb am Kopfende von Gayheens Schlafmulde stehen und blickte auf das im Halbdunkel liegende entspannte Gesicht hinunter, bevor er einen Fuß hob und mit wohldosierter Gewalt in den Magen des Schlafenden rammte.
Gayheen erwachte mit einem Japser und war so sehr mit seinem Bauch beschäftigt, daß er gar nicht begriff, was der plötzliche Schmerz zu bedeuten hatte. Erst als er wieder normal atmen konnte, hob er den Kopf.
»Mar-Estos!« sagte er überrascht und wütend zugleich. »Wie kommt Ihr dazu, in meinen Wohnbereich einzudringen? Wer hat Euch hereingelassen?«
»Niemand.« Mar-Estos ging vor der Schlafmulde in die Hocke, um Gayheens Gesichtsausdruck besser verfolgen zu können. »Du hast dich zwar abgesichert wie den Valdecschen Familienschatz, aber ich habe etwas, das innerhalb dieses Palastes jede Sperre überwindet. Hier – Growans ID-Karte.«
»Das sagt mir nichts weiter, als daß du jetzt deine eigene Verwandtschaft bestiehlst. Was …?«
»Ich habe sie nicht gestohlen«, unterbrach ihn Mar-Estos. »Growan hat sie mir gegeben. Ich bin gekommen, um dich zu holen, Clint Gayheen!«
Gayheen betrachtete ihn erst mit überlegenem Spott, dann mit Bestürzung und endlich mit Angst.
»Du lügst!« sagte er mit schwankender Stimme. »Du willst nur deine persönlichen Rachegefühle an mir austoben.«
»Unter anderem. Ich muß zugeben, daß es mich in gewissem Maße gefreut hat, als Growan mir den Befehl gab, dich unschädlich zu machen, nachdem wir dein interessantes Gespräch mit Max von Valdec mitgehört hatten.«
Gayheen stieß einen Schrei aus und schnellte aus der Mulde heraus gegen Mar-Estos’ Knie, der nach hinten fiel und mit einem Arm sein Gesicht vor Gayheens kraftlosen Fäusten schützte. Der schmächtige Mann rollte von ihm herunter, kroch ein paar Schritte über den Boden, kam unsicher auf die Füße und rannte zum Ausgang. Die Tür öffnete sich gehorsam, und Gayheen prallte gegen den breiten Brustkorb Santiago Lemas, der sofort beide Arme um ihn schlang.
»Wenn er will, laß ihn schreien«, sagte Mar-Estos, der sich nicht besonders beeilt hatte, Gayheen nachzulaufen. »Hier ist alles schallisoliert.«
Gayheen kniff die Lippen zusammen. Er wußte nicht, ob er es bis zum Ende durchhalten konnte, aber vorläufig wollte er keinen Ton von sich geben. Mar-Estos sollte keinen Grund haben, sich über ihn lustig zu machen.
Santiago trug ihn zu dem Seiteneingang des Palastes, durch den damals auch Myriam geflohen war, und schob ihn in den Gleiter, der in Warteposition über dem Kunstrasen schwebte.
Mar-Estos glitt hinter das Steuerpult und beugte sich noch einmal zu Santiago hinaus. »Ich bin kein Mörder«, sagte er hart, »aber es gibt Dinge, die eben getan werden müssen.«
*
Berlin, Sitz der Zentrale des Kaiser-Konzerns, mochte seine guten und schönen Seiten haben, aber Growan terGorden konnte nichts dergleichen entdecken. Sein Raumer landete in dichtem Regen, und der Gleiterflug durch die Stadt zeigte Growan nur graue, hochragende Gebäude, fensterlos und abweisend.
Max von Valdec kam ihm persönlich bis zum Haupteingang auf dem Dach des Kaiser-Turms entgegen. Sein Gesicht war nichtssagend freundlich. Ob er ahnte, weswegen Growan ihn besuchte, war daran nicht abzulesen.
»Ihr kommt etwas überraschend, lieber Growan«, sagte er. »Ich hatte keine Zeit, einen gehörigen Empfang vorzubereiten, aber das werden wir morgen nachholen. Ich werde mir alle Mühe geben, es Euren Festen in Ultima Thule gleichzutun.«
»Gebt Euch keine Mühe!« Growan ließ sich in einen kostbar und anheimelnd ausgestatteten Nebenraum der Empfangshalle führen, blieb aber neben seinem Sitzplatz stehen. Er war erheblich kleiner als Valdec und wirkte für gewöhnlich neben dem hageren und ernsten Kaiser-Chef ein wenig aufgeblasen. Diesmal jedoch ließ seine Haltung jede pompöse Würde vermissen, die ihn sonst zur Zielscheibe für Spötteleien machte. Valdec war gegen seinen Willen beunruhigt und beeindruckt.
»Setzt Euch doch«, sagte er. »Ich werde gleich Erfrischungen bringen lassen. Die Wetterzentrale hat uns Regen verordnet, und
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