Die Terranauten 031 - Der Einsame von Ultima Thule
mit heißem Wein, in dem ein energiespendendes Konzentrat aufgelöst war. Weder Myriam noch Merlin fiel das unruhige Flackern in seinen Augen auf.
»Wann wirst du das Experiment abschließen können?« erkundigte sich Merlin.
»Bald. Sehr bald. Wenn nur unser kleiner Freund hier mir keinen Strich durch die Rechnung macht.« Sie legte beide Hände auf ihren gewölbten Leib. »Er ist jetzt schon ganz ungeduldig.«
»Ein Zeichen, daß er gesund und munter ist. Er wird die zwei Monate noch abwarten können.«
Jonsson verließ die Höhle und ging zu Myriams Zelt hinunter. Er hatte sich seit Beginn des Experiments um sie gekümmert, hatte das Zelt in Ordnung gehalten und die Apparate gewartet. Diese Haltung hatte ihm nicht nur Myriams Sympathie, sondern auch die Achtung Merlins und seiner Treiberfreunde eingebracht. Es gab Augenblicke, in denen Jonsson sich deswegen schämte, aber diese Anwandlungen wurden rasch von dem Zorn darüber verdrängt, daß er immer noch nicht herausgefunden hatte, wo Myriam ihre Notizen aufbewahrte. Die Notizen, die Clint Gayheen so gerne haben wollte.
Gayheen aber war jetzt tot, und bestimmt war er keinem Unfall zum Opfer gefallen. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis man herausfand, daß er Gayheens Spitzel gewesen war.
Jonsson schlüpfte durch den Türschlitz in der dünnen Protopplane und schob mißbilligend die Unterlippe vor. Ein rechteckiger Kasten, der durch vier transparente Schläuche mit Yggdrasils Stamm verbunden war, war von seinem Ständer am Kopfende der Liege heruntergefallen, und aus den abgerissenen Schläuchen sickerte eine helle Flüssigkeit. Ein niedriger schwarzer Schrank, der sonst immer verschlossen in Reichweite Myriams gestanden hatte, war umgekippt und hatte seinen Inhalt über den Boden verstreut.
Der Treiber bückte sich nach den hellgrauen Metallfolien, setzte sich auf die Liege und ordnete die Blätter zu einem ordentlichen Stoß, wobei er jedes einzelne gründlich betrachtete. Sie waren kreuz und quer mit einem Prägestift beschrieben, größtenteils in Myriams schwer lesbarer Handschrift. Jonsson versuchte, einiges davon zu entziffern, aber die Symbole, die Myriam verwendet hatte, sagten ihm nichts. Auf anderen Blättern hatte sie zwar die Buchstaben des terranischen Alphabets benutzt, aber zu einer Sprache zusammengestellt, die sie selbst erfunden haben mußte. Zum ersten Mal überlegte sich Jonsson, wie wenig er und die anderen über Myriams Herkunft wußten.
Jonsson hielt den Packen Metallfolien auf den Knien. Hatte er gefunden, wonach er suchte? Myriams Forschungsergebnisse? Kurz entschlossen stopfte er die Folien in seinen Anzug, brachte den heruntergefallenen Apparat wieder in Ordnung und verließ das Zelt.
Es ging auf den Abend zu. Obwohl am Morgen noch Schnee gefallen war, gab es jetzt keine Wolke mehr zu sehen. Der Himmel war hellblau und kalt, die untergehende Sonne schmückte die Umrisse der Klippen mit goldenen Lichtern. Das leise Summen eines Gleiters war in der Stille deutlich zu hören. Seit Myriam sich in Ödrödir aufhielt, patrouillierte dreimal täglich ein Gleiter der Grauen über das Tal.
Jonsson blickte zum Höhleneingang hinüber, an dem sich nichts rührte. Der Gleiter stieg über die Felswand, sank tiefer und schwebte so dicht über Yggdrasil hinweg, daß er beinahe ihre Krone streifte. Jonsson hob beide Arme und verschränkte die Hände zu einer bestimmten Geste. Die Seitenbeleuchtung des Gleiters flackerte einmal kurz auf, dann wurde die Maschine wieder in die Höhe gezogen und verschwand.
*
Jonsson fror, als er leise die Rampe entlanglief, die von Merlins Höhle zu dem Gleiterlandeplatz führte, auf dem Shadows Blechbüchse immer gestanden hatte. Von dort zog sich ein brüchiges, gefährliches Band weiter am Fels empor, bis es unterhalb der höchsten Klippenspitzen in einen halbwegs begehbaren Pfad mündete.
Jonsson trug Spezialstiefel und Klauenhandschuhe, um auf dem Band, das mit frischem Pulverschnee bedeckt war, nicht abzustürzen. Er geriet bald ins Schwitzen, aber die innere Kälte ließ sich nicht so einfach vertreiben. Gayheen war mit Versprechungen nicht sparsam gewesen, aber hatte er sie ernst gemeint? Und wenn ja – würde Valdec sich daran gebunden fühlen?
Erst als ein Felsstück unter seinem Fuß abbröckelte, befreite Jonsson sich von seinen pessimistischen Gedanken und konzentrierte sich völlig auf den Weg. Er war außer Atem, als er den Klippenpfad erreichte, gönnte sich aber keine
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