Die Terranauten 042 - Der Sammler
Bewußtlosigkeit leise in ihr sprach, endlich verstehen zu können.
Die Stimme war nicht viel mehr als ein Wispern, aber in diesem Wispern lag so viel Verheißung, daß Lyda manchmal den Tränen nahe war.
Ennerk Prime, der seit der Landung der vier Terranauten auf Sarym völlig PSI-taub war, konnte den Zauber dieses Ortes natürlich nicht teilen, und die Stimme konnte er erst recht nicht hören.
»Eine zweite Korallenstadt?« fragte er deshalb laut. »Wieso habt ihr Surinen die denn bisher noch nicht entdeckt? Ich meine, schließlich seid ihr doch lange genug auf diesem Planeten!«
»Aber wir reisen nur sehr selten über den Ozean«, erwiderte Damon Credock. »Außerdem dürfte dieser Kegel die meiste Zeit über vollständig von Wasser bedeckt sein. Und dann der Nebel … In dieser Region des Ozeans treffen anscheinend eine kalte und eine warme Meeresströmung aufeinander. Darum der beständige dichte Nebel. Du darfst mich allerdings nicht fragen, weshalb gerade hier, rund um die Korallenstadt, kein Nebel herrscht.«
Lyda Mar bekam das alles nur mit halbem Ohr mit. Ihre Gedanken schweiften zurück, hin zu einem unendlich langen Augenblick, da sie diese Korallenstadt – die Maritime Korallenstadt, wie sie plötzlich wußte – schon einmal gesehen hatte.
Und zwar durch die Sinnesorgane eines Traumhakens …!
Der Traum!
Lyda stieß ein ersticktes Geräusch aus. Natürlich! Jetzt fielen die Teile des Puzzlespiels an ihren vorherbestimmten Platz und ergaben plötzlich ein vollständiges Bild!
Damon Credock drehte sich besorgt zu der jungen Terranautin um. »Lyda? Ist etwas nicht in Ordnung? Lyda? Lyda?«
Lyda Mars vom Schimmel zerfressenes Gesicht mußte in diesem Augenblick auf die beiden Männer wie eine archaische Maske wirken. Es war das Gesicht einer Schlafwandlerin, das Gesicht einer vorzeitlichen Seherin. Und als Lyda unvermittelt zu sprechen begann, da erinnerte ihre Stimme kaum mehr an die Stimme eines Menschen.
»Die Korallenstadt hat mich gerufen«, sagte die junge Frau wie in Trance. »Ich habe den Ruf gehört, aber nicht verstanden. Ich bin ihm nicht gefolgt. Darum hat die Korallenstadt die Traumhaken geschickt, um mich zu holen. Hörst du den Ruf nicht auch, Damon? Du bist ein Mittler, und …«
Sie hielt inne. Die maskenhafte Starre ihres Gesichtes verschwand, ihre verschleierten Augen wurden wieder klar, und ein Zittern durchlief ihren schmalen Körper. »Damon … Was … was habe ich da gesagt?«
Damon Credock zog sie an sich. Die Ereignisse der letzten Minuten schienen zuviel für die zierliche, in sich zurückgezogene Terranautin gewesen zu sein. Sie schwankte hin und her. Wie ein Zweig im Wind, dachte Damon. Aber außer ihr kann niemand diesen Wind spüren.
Lyda Mar begann, hemmungslos zu schluchzen. Der Mittler preßte sie noch fester an sich und streichelte ihr hilflos über das Haar.
»Ich glaube, wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden«, sagte Ennerk Prime. In seinen Worten schwang Entsetzen mit. Offenbar fürchtete sich der alte Terranaut, der sonst eher ein Draufgängertyp war, so sehr wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Lydas Reaktion auf Ennerks Worte überraschte Damon Credock vollständig.
»Nein!«
Diese Antwort war nicht einfach eine gewöhnliche Verneinung, sondern ein Aufschrei. Lydas ganzer Körper verkrampfte sich so heftig, daß Damon Credock die junge Frau unwillkürlich losließ.
»Aber …«, setzte Ennerk Prime noch einmal an, doch Lyda ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Jetzt, wo wir endlich am Ziel sind, sollen wir umkehren und fliehen?« stieß sie mit erstaunlicher Heftigkeit hervor. »Weißt du eigentlich, daß du im Grunde deines Herzens ein ganz erbärmlicher Feigling bist, Ennerk?«
Prime zuckte zusammen wie ein geschlagener Hund. »Lyda …«
Wieder gab ihm Lyda Mar keine Chance auszureden.
»Ich werde nicht umkehren«, schleuderte sie ihm entgegen. »Ich will in die Korallenstadt. Ich muß in die Korallenstadt, verstehst du das denn nicht? Ich …«
Ihre Stimme brach.
Damon Credock schüttelte verständnislos den Kopf. Er begriff nicht, was eigentlich in die junge Frau gefahren war.
»Ich bin auch dafür, daß wir landen und uns die Korallenstadt näher anschauen«, sagte er sanft. »Schließlich ist es unsere Mission, das Geheimnis Saryms zu enträtseln, und die Entdeckung einer zweiten Korallenstadt hat dieses Geheimnis eher noch größer gemacht. Zugleich bietet sich uns dadurch allerdings auch eine bisher nie dagewesene
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