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Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster

Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster

Titel: Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Quint
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IHR SPRECHEN, GRAL, wiederholte Daun. SIE BRAUCHT TROST. ICH MAG SIE. ICH WILL NICHT, DASS SIE LEIDET. SIE BRAUCHT TROST UND SCHUTZ. KÜMMERN SIE SICH UM SIE, GRAL.
    Gral nickte und schrieb: SELBSTVERSTÄNDLICH, ICH WERD …
    Die Tastatur blockierte. Andere Worte als die, die Gral im Sinn gehabt hatte, tauchten auf.
    DIE ZEITEN SIND UNSICHER! GC GEHT ZUR GROSSOFFENSIVE ÜBER. EUROCHEM KANN ES SICH NICHT LEISTEN, DASS DER STUHL DES SD-DIREKTORS VERWEIST. ICH WILL EINEN ZUVERLÄSSIGEN MANN AUF DIESEM POSTEN SEHEN. SIE SIND DIESER MANN, GRAL. ICH ERNENNE SIE ZUM DIREKTOR DER ABTEILUNG SICHERHEIT. AB SOFORT. HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH. ENTTÄUSCHEN SIE MEIN VERTRAUEN NICHT.
    Gral wankte. Es war fast zuviel.
    SD-Direktor! Von Daun persönlich ernannt, ohne daß das Direktorium darüber auch nur diskutiert oder seine förmliche Zustimmung erteilt hatte. Ausgerechnet er, Gral, war von Daun zum SD-Direktor ernannt worden, obwohl jeder wußte, daß er allein Zamuels Mann war und keinen Rückhalt im Haus besaß.
    »Ich danke Ihnen«, stieß er verwirrt hervor …
    KÜMMERN SIE SICH UM ZAMUELS FRAU, ratterte die Schreibmaschine. HEIRATEN SIE SIE, GRAL. VERSTANDEN? DIES IST EIN BEFEHL. SIE WARTET DRAUSSEN AUF SIE. SIE WEISS BESCHEID. ALLES GUTE, GRAL. ICH VERTRAUE IHNEN. SIE SIND LOYAL. UND NOCH ETWAS. KÜMMERN SIE SICH UM Engramm-3. MORGEN. NACH IHRER TRAUUNG. DIES IST EIN BEFEHL.
    Gral stand da und sagte nichts.
    Er starrte auf die Schreibmaschine, auf das Endlosblatt, doch die Maschine schwieg. Daun hatte ihm nichts mehr zu sagen. Die Entscheidung war gefallen, die Befehle waren erteilt.
    Gral war ab heute Direktor der Abteilung Sicherheit mit vollem Stimmrecht im Direktorium, und ab morgen würde er mit Zamuels Witwe verheiratet sein.
    Gral schnappte nach Luft.
    »Aber ich kenne sie doch gar nicht«, murmelte er verzagt. »Ich weiß doch gar nicht, wer sie ist …«
    Er bemerkte den hysterischen Tonfall seiner Stimme und biß sich auf die Lippe.
    Der Greis lag eingeschnürt im Zylinder des Lebenserhaltungssystems wie in einem Kokon, vom Tode gezeichnet und nur durch teure, komplizierte Maschinen noch zum Leben und Denken fähig, und Gral glaubte in diesem Augenblick, ein Lächeln um den welken Mund des Generaldirektors spielen zu sehen.
    Ein schriller Ton riß ihn aus seiner Benommenheit.
    »Es ist genug«, ertönte Dr. Marks’ Stimme aus einem verborgenen Lautsprecher. »Kommen Sie zurück, Gral. Sofort.«
    Gral nickte mechanisch und ging mit hölzernen Schritten rückwärts. Er erreichte die Panzerglaswand, schälte sich aus dem Plastikanzug und drehte sich herum.
    Marks hatte sich vor ihm aufgebaut und die Arme in die Hüften gestemmt. Sein breitflächiges Gesicht war gerötet. Zorn glomm in seinen Augen.
    »Unverantwortlich!« schnappte er. »Was, zum Teufel, haben Sie mit ihm gemacht. Vizedirektor? Man hat Ihnen doch ausdrücklich verboten, ihn aufzuregen oder …«
    »Direktor«, unterbrach Gral automatisch. »Direktor. Ich bin jetzt Direktor des SD. Zamuel ist tot. Daun hat mich zum Direktor ernannt.«
    Marks riß die Augen auf. »Oh«, machte er. »Ich … Nun, es tut mir leid. Ich dachte …«
    »Schon gut.«
    Gral winkte ab. Er registrierte die plötzliche Angst des Arztes; der Direktor des SD war ein mächtiger Mann, kein bloßer Verwaltungsspezialist wie sein Stellvertreter. Selbst der Leibarzt Dauns konnte sich ihm gegenüber nicht alles erlauben.
    Gral fragte sich, ob sich jetzt auch das Verhältnis anderer Menschen zu ihm ändern würde. Belustigt dachte er an die nur schwach verhohlene Herablassung, mit der ihn manche der Dezernenten behandelt hatten.
    Er holte tief Luft.
    »Der Chef sagte mir, daß ich erwartet werde«, erklärte Gral. »Von einer Frau. Wo ist sie? Ich muß mit ihr reden.«
    »Folgen Sie mir«, bat Marks und wies ihm den Weg durch das Gewirr der Maschinenungetüme.
    Gral bewegte sich wie im Traum.
    Zuviel war in den letzten Tagen und Stunden auf ihn eingestürmt. Zamuels Tod, der mysteriöse Zettel mit dem kryptischen handschriftlichen Vermerk, dann die Ernennung zum Direktor und zum allmächtigen Chef des Eurochem-Sicherheitsdienstes und schließlich Dauns wahnwitziger, absurder Befehl, Zamuels Witwe zu heiraten.
    Warum?
    War Daun tatsächlich senil? War der Generaldirektor nicht nur körperlich von den vor Jahrzehnten aus dem BIBLIS-Reaktor entwichenen radioaktiven Strahlen zerfressen, sondern auch geistig?
    Es ist grotesk, irrsinnig und abscheulich, dachte Gral, während er Marks folgte.

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