Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster
Nichts schien die Atome und Molekühle ihrer Körper anzugreifen und sie nach und nach zu entmaterialisieren.
Nein! dachte Gral voll Grauen. Es ist unmöglich … Ich muß träumen. Es ist ein Alptraum, ein verdammter Alptraum …
Aber es war kein Traum.
Sein Blick glitt weiter, über die diffusen Schattengestalten hinweg, und dort – mitten im Gewölbe – stand Ricarda Fantrinelli.
Die PR-Direktorin war von dem unheimlichen Auflösungsprozeß verschont.
Sie hatte beide Hände gegen die Stirn gepreßt, und ihr Antlitz war eine gepeinigte Grimasse. Sie wimmerte leise. Doch trotz der Marter glühten ihre Augen. Sie glühten in einem unwirklichen Licht, das so fremdartig war wie das Phosphoreszieren der kalten Fackeln an den Wänden.
Und weiter hinten entdeckte Gral Terjung, und Terjung wimmerte ebenfalls und auch seine Augen glänzten in dem sonderbaren Licht.
Raus hier! dachte Gral. Nur fort von hier!
Schwerfällig setzte er einen Fuß vor den anderen. Widerstand stemmte sich ihm entgegen. Die Luft wirkte zäh wie Sirup. Jeder Schritt kostete Kraft.
Grals Gesicht lief rot an. Vor Anstrengung keuchte er.
Die unsichtbare Kraft zerrte an ihm, und mit jedem Meter, den er zurücklegte, schien der Widerstand zu wachsen.
Sie wollen mich nicht fortlassen! dachte Gral entsetzt und vermied gleichzeitig jede Spekulation darüber, wer sie wohl sein mochten. Denn er spürte, daß die Antwort darauf ihm vielleicht die letzte Fassung rauben und ihn resignierend zu Boden sinken lassen würde.
Endlich hatte er Ricarda erreicht.
Erst jetzt bemerkte er die feine, bläulich schimmernde Aura, die um ihren Körper spielte.
Vorsichtig streckte er eine Hand aus.
Er fühlte ein leises Prickeln, als er die Aura berührte, und der Schimmer verschwand.
Das Phosphorleuchten in Ricardas Augen erstarb. Sie zwinkerte. Ihr Antlitz entspannte sich und nahm wieder menschliche Züge an.
»Thomas …« murmelte sie benommen.
Sie drehte den Kopf, und Angst verzerrte erneut ihre Miene.
»Schnell!« stieß sie hervor. »Wir müssen verschwinden, oder …«
Sie beendete ihren Satz nicht, aber Gral verstand.
Mühsam, immer noch gegen den fremden, wütenden Einfluß kämpfend, näherte er sich Terjung. Auch den Söldner umgab diese rätselhafte blaue Aura, die sofort verschwand, als Gral Terjungs Arm ergriff.
Der Söldner reagierte mit maschinenhafter Präzision.
Er warf einen Blick in die Runde, fuhr herum und arbeitete sich mit der ganzen Kraft seines hünenhaften Körpers dem Bogengang entgegen.
»Dieser Narr«, preßte Terjung zwischen den Zähnen hervor, und seine Worte erreichten Gral als dumpfes, verzerrtes Dröhnen. »Dieser verdammte leichtsinnige Narr. Der Ring brennt aus …«
Wen meint Terjung? fragte sich Gral. Und der Ring …
Zamuels handschriftliche Notiz fiel ihm ein.
Ein Ring für viele Finger.
Ächzend stolperte er über die Schwelle des Korridors, und der Druck, der auf seinem Körper und seiner Seele lastete, wich abrupt. Nur ein kaum merkliches Brennen blieb zurück.
Er packte Ricardas Hand und zog sie in Sicherheit.
»Lucia ist tot«, sagte sie tonlos. »Ausgebrannt.«
Terjung schüttelte den Kopf und deutete in das Gewölbe. »Sie ist nicht tot«, widersprach er. »Nur verändert. Sie dient als Transmitter. Siehst du?«
Du? dachte Gral wie betäubt.
Er äugte in das Gewölbe. Das Mädchen auf dem Altar flackerte jetzt wie eine Kerze. Ein intensiver blauer Glanz ging von ihr aus, und die Schatten, in die sich die Teilnehmer der bizarren Sitzung verwandelt hatten, trieben wie magnetisch angezogen auf das blaue Feld zu.
Terjung schloß die Augen.
»Ich spüre den Ring nur noch schwach«, erklärte er. »Seine Abwehrkräfte erlahmen. Der fremde Einfluß hat ihn fast ganz übernommen.«
Ricarda Fantrinelli ballte die Fäuste.
»Jodekain«, stieß sie zornig hervor. »Es ist seine Schuld. Ganz allein seine Schuld. Ich hatte nicht gewußt, daß er den Ring zur Präkog-Verstärkung einsetzt … Obwohl er genau wußte, daß Engramm-3 bereits eingefroren war.«
»Engramm-3?« echote Gral. »Ricarda! Ich verlange eine Erklärung! Was geht hier vor? Was hat das alles zu bedeuten? Was ist der Ring? Und was Engramm-3?«
Die PR-Direktorin sah ihn müde an.
»Nicht jetzt, Thomas«, winkte sie ab. »Zuerst müssen wir versuchen, die Festung zu verlassen.« Sie fröstelte. »Und ich fürchte, es wird uns nicht gelingen …«
Terjung setzte sich in Bewegung.
»Kommt«, rief er heftig. »Noch haben wir eine
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