Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster

Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster

Titel: Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Quint
Vom Netzwerk:
Marmorsäulen gestütztes Gewölbe. Der Weihrauchduft war nahezu betäubend. Zwielicht erfüllte den Raum, und es dauerte eine Weile, bis sich Grals Augen an die Dämmerung gewöhnt hatten.
    Terjung hob seinen Arm und deutete bezeichnend auf den Armbanddiagnoster. »Ihr Blutdruck …« begann er.
    Gral funkelte ihn finster an.
    Der Teufel mochte wissen, warum er Zamuels Drängen nachgegeben hatte, sich die Diagnose-Sensoren implantieren zu lassen. Überhaupt erschien ihm Zamuels Besorgnis um seine Gesundheit im nachhinein äußerst seltsam. Als hätte der SD-Direktor seinen Tod vorausgeahnt.
    Gral schluckte.
    Vielleicht traf dies zu. Vielleicht hatte Zamuel gewußt, daß man ihn umbringen würde. Und das Treffen in Transkom-12 hatte nur dazu gedient, Gral in letzter Minute zu informieren … Über Jodekain und Engramm-3. Über die Hintergründe all dieser verwirrenden Rätsel.
    Er war erleichtert, als er General Jodekain entdeckte.
    Der verrückte alte Mann kniete vor einer Art Altar, auf dem ein graziles schwarzhaariges Mädchen saß. Das Mädchen konnte nicht älter als achtzehn oder zwanzig Jahre sein. Ihr Haar fiel bis zu den Hüften, und ihre Haut war so bleich wie die einer Toten.
    Dunkle Ränder lagen unter ihren Augen.
    Außer dem General kauerten noch ungefähr dreißig oder vierzig andere Männer und Frauen auf dem mit dicken Orientteppichen ausgelegten Boden, und Gral war überzeugt, daß mindestens die Hälfte von ihnen Marodeure waren.
    Marodeure. Ein weiterer Beweis für den Wahnsinn des Kanzlers, daß er diese Gesetzlosen in die Festung ließ.
    Geisterhaft fluoreszierende, Fackeln nachempfundene Wandlampen spendeten das Dämmerlicht und warfen monströse Schatten über die rohen, ungefügen Steinwände.
    Nicht weit von Gral entfernt kauerte Ricarda Fantrinelli. Ihr Gesicht trug den gleichen konzentrierten Ausdruck wie alle anderen Anwesenden.
    Tempel der Wahrheit, hatte Terjung dieses Gewölbe genannt.
    Fand hier eine religiöse Zeremonie statt? Vielleicht eine Versammlung der Erweckungsgemeinde?
    Gral schüttelte den Kopf.
    Ricarda würde nie an einem derartigen Hokuspokus teilnehmen. Sie war viel zu nüchtern, um sich für Vater Theosos’ krause Apokalypse-Theologie zu interessieren.
    »Sie warten hier«, befahl er Terjung flüsternd und ließ ihn am Eingang zurück.
    Als Gral vorsichtig durch die Reihen der knienden Menschen schritt, spürte er die gläsernen Blicke des Söldners in seinem Rücken, und mehr denn je hatte er das Gefühl, von Terjung forschend beobachtet, belauert zu werden …
    Er rempelte unabsichtlich einen dickbäuchigen, behaarten Mann an und murmelte eine Entschuldigung, doch der Dicke blickte nicht einmal auf.
    Erleichtert ließ sich Gral schließlich neben Jodekain nieder.
    »Ich muß mit Ihnen sprechen, Jodekain«, zischte er dem General zu. »Es handelt sich um eine überaus wichtige Angelegenheit. Ich …«
    Der weißbärtige General wandte langsam den Knopf. Seine Augenlider flatterten.
    Gral fuhr zusammen.
    Da war er wieder – dieser verrückte Blick, dieses Wissen um eine Welt jenseits der realen Welt, um diese fremdartige, abstoßende, schreckliche Travestie der Wirklichkeit.
    »Nicht«, wisperte Jodekain. »Nicht jetzt, Zamuel. Lucia … Sie träumt. Träumen Sie mit, Zamuel. Von der Zukunft …«
    Der General sah wieder zu Boden und versank in der Trance, aus der ihn Grals Worte gerissen hatten.
    Träumen? fragte sich Gral. Von der Zukunft? Gott, in was bin ich nur hineingeraten?
    Verstohlen blickte er sich um, und hinter der meditativen Entspannung der Gesichter entdeckte er etwas, das ihm schon oben in der Festhalle aufgefallen war.
    All diese Menschen – Kanzler Egbert, Vater Theosos, Sarah Maria Sartig, die Marodeure und die Sektierer, die Betthäschen und Milizionäre –, alle Bewohner und Gäste der Bonner Festung wurden von einem eigentümlichen Hunger beherrscht.
    Einem Hunger, der sich verstohlen im Hintergrund hielt und nur in manchen Sekunden sichtbar wurde. Gier und Verzweiflung schienen eine untrennbare Einheit zu bilden und sich in eine lemminghafte Sehnsucht zu verwandeln. In unerfüllte Sehnsucht; unerfüllt, weil sie kein Ziel besaß und nur als Gefühl an sich existierte.
    Die Sehnsucht war elementar, aber nicht menschlich. Gral begegnete ihr in der Festung zum ersten Mal. Sie erschreckte und faszinierte ihn. Und jetzt, in diesen sonderbaren Momenten, da spürte er, daß die Sehnsucht in jeder Ecke, jedem Winkel und jeder Ritze der Festung

Weitere Kostenlose Bücher