Die Terranauten TB 04 - Zeitfenster
durch den Kosmos trieben und daß sie sich selbst als Treiber bezeichneten.
Gral sah ein Geschöpf, das menschliche Gestalt besaß und am ganzen Körper über und über von goldenen Riemen bedeckt war. Gral spürte, daß dieser Fremde ein Mensch und doch kein Mensch war. Eine Aura der Macht umgab ihn; eine Macht, die Gral verschwommen an etwas erinnerte, an das er sich nicht erinnern wollte.
Gral sah noch mehr Bilder: Gewaltige Schwärme bizarrer Sporen, die durch den Weltraum drifteten und mit weitgespannten, hauchdünnen Sonnensegeln den Lichtdruck der Sterne einfingen. Eine Welt, die nicht die Erde war, denn ihr Himmel war rot und waberte und glühte wie flüssige Vulkanschlacke. Einen Baum, ganz anders als die Bäume, die Gral kannte, und in seinem Geäst wuchsen die goldenen Blüten.
Gral sah rote Riesensonnen und Doppel- und Mehrfachsternsysteme und Eiswelten und Wüstenplaneten und pavianähnliche Geschöpfe in den Wipfeln eines Waldes, der eine Welt so groß wie die Erde umspannte, und er sah einen Mann mit blonden Haaren und einem seltsamen, rötlich funkelnden Kristall in den Händen …
Die Visionen strahlten Frieden aus.
Und auch wenn Gral ihre Bedeutung nicht begriff, so genoß er doch den Anblick und die Stimmung, die von ihnen ausging.
Aber dann – wie ein übler Dunst aus den Tiefen einer Kloake – schoben sich andere Bilder vor sein inneres Auge.
Männer und Frauen, grau an Gestalt und kalt in Gedanken, die ganze Sonnensysteme knechteten. Ein Etwas, das aus dem Nichts drang und Lichtjahre Weltraum verseuchte.
Ein Planet, von einer monströsen Mauer halbiert, bewohnt von Menschen und von menschengroßen Insekten, und beide Völker starben in Feuer und Rauch.
Gral hörte ihre Schreie.
Sie überwanden Zeit und Raum und froren im Realitätsgerüst des Hier und Jetzt ein.
Die Schreie, wußte Gral mit eisiger Sicherheit, stammten aus der Zukunft. Sie flehten um Hilfe, aber es hatte keine Hilfe gegeben und würde nie Hilfe geben. Ihr Flehen blieb unerfüllt – wie die Sehnsucht der Festungbewohner.
Haltlos wirbelte Gral durch das Kaleidoskop der Visionen und empfand mit schmerzhafter Intensität die ungeheure Kraft, die hinter den Schreien stand und sie die starren Barrieren der Dimensionen durchbrechen ließ.
Eine Kraft, die verwandt sein mußte mit jenem anonymen Wesen, das ihn neugierig untersucht hatte, nur um sich verwirrt und enttäuscht wieder zurückzuziehen.
Beide Mächte waren identisch – die Wesen, die schrien und starben, und das Ding, das hinter der Finsternis lauerte. Und dennoch war das Ding nicht die ursprüngliche Entität, sondern nur ein Abklatsch, ein eingefrorenes Echo aus der Zukunft, dem es irgendwie gelungen war. Halt zu finden.
Gral litt furchtbare Qualen.
Die hoffnungslosen Schreie und die kalte, unmenschliche Neugierde des Dings quälten ihn gleichermaßen.
Die Entspannung der Trance war fort, von kreatürlicher Angst verdrängt.
Und es war die Angst, die Gral in die Wirklichkeit zurückfinden ließ.
Mit einem gurgelnden Laut riß Gral die Augen auf. Er sah sich um, und er glaubte, den Verstand verloren zu haben.
Lucia, das magere Mädchen, das den Meditierenden den Blick in die Zukunft gestattet und ihnen als Fokus gedient hatte, lag mit verrenkten Gliedern und gebrochenen Augen auf dem Altar. Es war tot; mehr noch: Es hatte an Substanz verloren, an materieller Festigkeit.
Fassungslos starrte Gral das Mädchen an.
Lucia war ein halb durchsichtiger Schemen, eine schwache holografische Projektion vor einem stofflichen Hintergrund.
Gral keuchte.
Schweiß lief ihm in die Augen, und sein Herz hämmerte wie eine überdrehte Maschine.
Er fuhr herum.
Jodekain! Der General – er befand sich nicht mehr an seinem Platz. Er mußte das Gewölbe verlassen haben. Aber die anderen Männer und Frauen …
Erstarrt knieten sie am Boden, Denkmäler ihrer selbst, und wie das Mädchen Lucia verloren auch sie an Stofflichkeit. Es war ein gespenstischer Anblick. Zuerst traf es ihre Seele. Der Glanz der Augen wurde dunkler, um dann ganz zu verlöschen. Die Gesichtszüge erschlafften. Obwohl sie noch atmeten, obwohl ihre organischen Funktionen noch nicht in Mitleidenschaft gezogen waren, hatten sie doch nichts Lebendes mehr an sich.
Der Körper existierte noch. Herz und Lunge, Leber und Nieren erfüllten nach wie vor ihre Aufgaben, aber der Geist war fort. Das nackte, unaussprechliche Nichts hatte Einkehr in ihren Köpfen gehalten, und es dehnte sich weiter aus.
Das
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