Die Teufelshaube
der zum Fluss gegraben worden war, zog sich als schwarze Rinne wie eine Narbe durch das mondbeschienene Weiß. Sie waren jetzt miteinander verbunden, die Abtei und die Themse. Zum ersten Mal gab es eine Möglichkeit, diesem brodelnden, überfüllten Kessel voller Menschen zu entfliehen, wo Gut und Böse in erstickender Enge die letzte und doch nie endende Schlacht schlugen.
Zumindest eine Seele hatte die Möglichkeit genutzt. Irgendwo in dieser unerbittlichen Wildnis riskierte Dakers ihr Leben, nicht etwa, wie Adelia wusste, um ihren Feinden zu entgehen, sondern um das zu erreichen, was sie liebte, obwohl es tot war.
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Kapitel zwölf
A ls Adelia früh am nächsten Morgen die Fenster aufstieß, um das Licht des Stephanstages hereinzulassen, merkte sie, dass sich die Aussicht vom Gästehaus irgendwie verändert hatte. Ja natürlich, ein neuer Pfad führte hinunter zum Ufer – man hatte grobe Stufen hineingeschlagen –, aber das war es nicht allein. Das Gefühl von Abgeschiedenheit war verschwunden, und an seine Stelle war gespannte Erwartung getreten.
Es war schwer zu sagen, woran das lag. Die Morgendämmerung segnete die menschenleere Landschaft mit ihrem üblichen kurzlebigen, apricotfarbenen Hauch. Der Schnee war so kompakt wie eh und je und wies, soweit das Auge reichte, keine menschlichen Spuren auf.
Und doch schien der weiße Wald am gegenüberliegenden Ufer weniger abweisend …
»Sie sind da.«
Mansur trat zu ihr ans Fenster. »Ich sehe nichts.«
»Ich dachte, ich hätte da drüben zwischen den Bäumen was gesehen.«
Sie spähten hinüber. Adelias Begeisterung erstarb. Die gespannte Erwartung war in
ihr,
nicht in der Aussicht.
»Wahrscheinlich bloß Wölfe«, sagte Gyltha, die im hinteren Teil des Zimmers vor sich hin litt und das Licht mied. »Ich hab sie letzte Nacht gehört, die waren schrecklich nah.«
»Als du dich in den Nachttopf erbrochen hast?«, fragte Adelia interessiert.
Gyltha überging sie. »Direkt an den Mauern waren die. Ich schätze, die haben das Pferd von dem jungen Talbot gefunden, das im Wald liegengeblieben is.«
Adelia hatte nichts gehört – im Schlaf war sie von Bären heimgesucht worden. Aber Gyltha hatte vermutlich recht. Zwischen den Bäumen waren Wölfe unterwegs, und die waren weniger gefährlich als die im Innern der Abtei.
Dennoch wollte sie die jäh aufgekeimte Hoffnung, dass Rowley noch lebte und den König mit seinen Männern hergeführt hatte, noch nicht gänzlich fallenlassen. »Trotzdem, da draußen
könnte
sich ein Heer versteckt haben«, sagte sie. »Aber die würden nicht angreifen, ohne zu wissen, wie stark der Gegner ist – die Gefahr für die Schwestern wäre zu groß. Er würde warten, Henry würde warten.«
»Worauf?«, fragte Mansur.
»Genau, worauf denn?« Gyltha war ausgesprochen redselig, um zu zeigen, dass sie nicht litt. »Der würde doch kein Heer brauchen, um den Laden hier einzunehmen – den könnten ich und die kleine Allie ja allein stürmen. Und wie soll der König hergekommen sein? Nee, der alte Wolf weiß, dass er bis zur Schneeschmelze sicher ist. Der hat ja nich mal Wachposten aufgestellt.«
»Inzwischen doch«, sagte Mansur.
Adelia beugte sich aus dem Fenster. Gyltha ebenso. Direkt unter ihnen patrouillierte ein Mann in Wolvercotes blausilbernem Waffenrock auf dem Weg, der an den hoffnungslos unzureichenden Befestigungen der Klostermauer entlangführte. Sein Morgenschatten fiel rhythmisch auf die Mauerzacken und verschwand bei jeder Schießscharte. Er hielt eine Pike in der einen Hand und eine Klapper in der anderen.
»Wonach hält der denn Ausschau?«, fragte Gyltha, »Elstern? Da draußen is kein Heer. Kein Mensch kämpft im Winter.«
»Henry schon«, sagte Adelia.
Sie hörte Rowleys Stimme, die vor fast ungläubiger Freude bebte, wenn er von den Heldentaten seines Königs schwärmte und die Geschichte von dem jungen Plantagenet erzählte, der im Krieg gegen Stephen um das Recht seiner Mutter auf den englischen Thron gekämpft und während eines bitteren Weihnachtssturms mit einem kleinen Heer den Ärmelkanal überquert hatte, um seine Feinde im Winterlager zu überrumpeln – und zu besiegen.
Bis jetzt hatte Wolvercote darauf vertraut, dass der englische Winter seine Feinde ebenso zur Tatenlosigkeit verdammt hatte wie ihn selbst. Aber ob es nun daran lag, dass die Nabelschnur des Pfades durch den Schnee die Abtei jetzt mit der Außenwelt verband, oder ob wirklich heute am Stephanstag etwas in der Luft lag,
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