Die Teufelssonate
Paganini-Etüden , den Danse Macabre und das lyrische Un Sospiro . Ängste stellten sich nicht ein, auch keine Blackouts, trotzdem mußte er aufpassen. Er durfte sich nicht von dem Traum mitreißen lassen, denn Valdins Selbstvertrauen schien langsam zurückzukehren, wie bei einer Fußballmannschaft, die 1: 0 zurückliegt, dann jedoch ein paarmal beinahe trifft und waghalsiger wird. Valdins Spiel bekam allmählich mehr Tiefgang. Nicht, daß das Publikum das durchschaut hätte, aber es war noch alles offen. Notovich brauchte nur hier und da eine Note zu verfehlen, und der Abend würde zu Valdins Gunsten ausfallen.
Doch das war noch nicht alles.
Er fürchtete, daß der Franzose für den Schluß eine Überraschung bereithielt. Eine Überraschung, die er in dem weißen Bunker unter strengster Geheimhaltung geübt hatte. Vielleicht würde Valdin ankündigen, daß er eine verloren geglaubte Komposition von Liszt entdeckt habe. Womöglich würde diese heute abend ihre Weltpremiere erleben: die legendäre Teufelssonate .
Wenn Valdin diese Karte ausspielen würde, hatte Notovich nur eine Möglichkeit, das zu übertreffen: Dann mußte er zum ersten Mal seit Jahren wieder vor Publikum improvisieren.
Notovich durfte noch ein Stück spielen, bevor Valdin mit seinem Finale beginnen würde. Er holte tief Luft und versuchte, sich zwischen Tre Sonetti di Petrarca und einer Ungarischen Rhapsodie zu entscheiden, als er auf einmal Geraschel hörte. Am Rand des Schwimmbeckens standen drei Frauen mit großen Rosensträußen. Sie wurden von zwei breitschultrigen Männern in schwarzen T-Shirts auf Distanz gehalten. Notovich blickte verärgert zu seinem jüngeren Rivalen. Der machte eine ernste Miene, aber innerlich genoß er diese banale Ehrerweisung zweifellos. Sänger, Soapstars und Künstler wie Valdin … Wie leicht Frauen doch zu verführen waren. Zu seiner Verwunderung sah er, daß ein paar Rosen auf seinem eigenen Podium landeten.
Notovich, hier …! Hier … Mikhael!
Standen sie seinetwegen da?
Bilder von Auftritten in Frankreich zogen vorüber. Frauen in den Gängen vor den Garderoben, Frauen, die ihn auf der Straße ansprachen, und Frauen, die kreischend in sein Hotelzimmer eindrangen.
Sollten diese Leute nicht lieber abwarten, ob er sein altes Niveau wieder erreichen würde? Hörte denn niemand wirklich auf sein Spiel? Andererseits … seinen echten Fans brauchte er vielleicht gar nichts zu beweisen. Niemand konnte, was Notovich konnte. Das würde er heute abend ein für allemal beweisen.
Er versuchte, sich auf das Stück zu konzentrieren, das er spielen würde, als auf einmal eine Wasserfontäne über den Flügel hinwegspritzte und das Podium gefährlich zu kentern begann.
» MIKHAEL … ICH LIEBE DICH !!!«
Eine Frau aus dem Publikum war in das Becken gesprungen und zappelte nun am Rand des Podiums herum, aber ihr Abendkleid zog sie hinunter, und sie hatte nicht genug Kraft in den Armen, um sich auf die Plattform zu hieven. Sie schluckte Wasser und fing an zu hicksen und zu prusten, während sie ständig seinen Namen wiederholte: »Mikhael … Mikhael … ich liebe dich.«
Er schoß nach vorn und versuchte, sie auf das Podium zu ziehen, doch dadurch geriet die Plattform noch mehr in Schlagseite. Der Flügel rutschte knarrend auf das Wasser zu. Sie schlang ihre eiskalten, nassen Arme um Notovichs Nacken, so daß er keine Luft mehr bekam. Sie flüsterte in einem fort in sein Ohr, daß sie ihn liebe und ihn nie mehr verlassen wolle. Warum habe er ihre Mails und Briefe denn nie beantwortet?
Er verlor die Balance und wäre beinahe ins Wasser gefallen. Im Saal brach Tumult aus. Menschen schrien. Lampen gingen an. Zwei Sicherheitsleute sprangen ebenfalls ins Wasser und hoben die Frau hoch. Das Podium richtete sich wieder auf, und der Flügel blieb stehen. Doch sie wollte Notovich nicht loslassen und verschränkte ihre Hände fest in seinem Nacken. Sein oberer Rücken brannte vor Schmerz. Aus einem Impuls heraus küßte er sie auf den Mund, lange und intensiv … und sofort lockerte sich ihr Griff. Zwei Sekunden später wurde sie von den Sicherheitsleuten aus dem Wasser gezogen. Das Publikum applaudierte verwirrt: erleichtert, aber noch nicht ganz beruhigt.
Der Flügel wurde ein Stück zurückgefahren und trockengerieben.
Notovich zeigte an, daß alles in Ordnung sei, daß er weitermachen könne. Er hatte sogar eine Eingebung und bat um das Mikrophon.
»Ich möchte das nächste Stück allen Frauen widmen, die
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