Die Teufelssonate
Ihre Art, sich selbst zu finden. Es war ein Einblick in ihre Seele, den sie niemandem gegönnt hatte, nicht einmal Notovich.
Über dem Lifteingang sah er, was Valdin versucht hatte zu inszenieren: das Bild einer nackten Frau auf einem Flügel, von Kerzen umringt. Eine Männergestalt mit langem schwarzen Haar saß an den Tasten, in sich gekehrt, den Kopf in Ekstase zurückgeworfen, während sie verträumt der Musik lauschte.
Valdin hatte sich neben Notovich gestellt.
»Wie viele Beweise brauchst du noch, Notovich?«
»Was meinst du?«
»Es ist doch offensichtlich. Das bin ich, der da am Klavier sitzt. So lag sie gern bei mir auf dem Flügel.«
»Was soll das? Versuchst du mir jetzt alles wegzunehmen? Du LÜGST !«
Er schoß auf den Franzosen los, aber der trat behende zur Seite. Notovich verlor das Gleichgewicht und spürte einen dumpfen Schlag gegen den Kopf, der ihn zu Boden warf.
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N otovich spürte, daß ihm Blut in den Mund sickerte. Er war beim Fallen irgendwo mit der Nase angestoßen. Auch an seiner Schläfe spürte er einen brennenden Schmerz. Er bemühte sich nicht, sich aufzurappeln. Valdin nahm einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Er wischte sich imaginären Staub von den Armen.
»Du warst nicht schlecht gestern, bei dem Duell«, fing er an, »aber dieser Trick mit der linken Hand, der war ein bißchen billig, findest du nicht auch? Selbst für dich.«
Notovich antwortete nicht.
»Aber er hat funktioniert. Vor allem in dieser Umgebung, das muß ich dir lassen. Du weißt offenbar, was das Fernsehpublikum will. Aber das Duell interessiert mich nicht.«
»Und das soll ich dir glauben?«
»Kapierst du denn immer noch nicht, was ich eigentlich wollte? Auf diesen Moment hier habe ich drei Jahre lang hingefiebert. Denn du hattest vielleicht deinen Ruhm, aber ich hatte sie , Notovich. Ich hatte schon sehr lange eine Beziehung mit Senna, bevor du uns das Leben vermiest hast. Du hast mir mein Lebensglück genommen.«
»Daß ich nicht lache. Glaubst du wirklich, daß ich darauf reinfalle?«
»Senna war meine große Liebe und ich ihre.«
»Das muß ich mir nicht anhören.«
»Natürlich hatten wir Phasen, in denen es nicht so gut lief. Wir waren jung und unerfahren. Ich war mit meiner Musik verheiratet, und sie war auch nicht gerade einfach.«
Notovich wollte sich aufrichten, doch Valdin stieß ihn mit dem Fuß zu Boden.
»Eines Tages erzählte sie, daß in dem Gebäude hinter meiner Wohnung ein Pianist übe. Ein paar Tage später kam sie begeistert nach Hause: Es sei jemand aus den Niederlanden. Sie hatte sich unten auf der Spielwiese mit dir unterhalten. Ich war natürlich mißtrauisch, aber sie versicherte mir, daß sich das Gespräch nur um Kunst gedreht habe, mehr nicht. Ich erkundigte mich, wie der Pianist hieß, aber danach hatte sie nicht gefragt.«
»Und ich soll glauben, daß sie dort mit dir gewohnt hat?«
»Das weißt du ganz genau. Du hast mich dort mehrfach gesehen.«
Notovich sah ihn wieder vor sich, auf dem Balkon, in seinem grünen Polo-Shirt und dem blauen Jackett. Ganz anders als er jetzt aussah. Normaler. Die Erinnerung an Valdin war nie völlig verschwunden gewesen; er hatte nur versucht, ihn zu verdrängen, ihn zu zertreten wie ein lästiges Insekt.
»Senna hatte es schwer in dieser Zeit«, fuhr Valdin fort. »Sie hatte Heimweh nach den Niederlanden, wagte aber nicht, Kontakt mit ihrer Familie aufzunehmen. Vivien vermißte sie am meisten. An diesem Tag hatten wir Streit. Wir hatten öfter Streit. Das hast du selbst beobachtet, in der Nacht, in der es so stark geregnet hat.«
»Sie hatte sich die Arme aufgeritzt. Was hattest du ihr angetan, um sie so weit zu bringen?«
»Nichts. Senna war kompliziert. Sie hatte eine dunkle Seite, die sie vor der Außenwelt verbarg, die aber immer wieder hochkam. Dann wurde sie abweisend und schweigsam. Ich dachte, meine Liebe könnte sie heilen. In dieser Nacht erkannte ich dein Gesicht zum ersten Mal: Notovich, der eigensinnige Pianist, der für soviel Kontroverse in der Musikwelt gesorgt hatte.
Danach wohnte sie eine Weile allein. So war das oft bei Senna, das weißt du auch: Plötzlich war sie tage- oder wochenlang weg, und dann kehrte sie zurück, als ob nichts geschehen wäre. Ich hatte keine Ahnung, wo sie sich versteckte. Aber du hast diesen Ort gefunden. Das hier.«
»Hör auf, hör auf!«
Valdin fuhr unbeirrt fort. »Sie war nachts immer häufiger weg. Ich wurde eifersüchtig, aber sie sagte, daß nichts zwischen euch sei.
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