Die Teufelssonate
jetzt erfährst du, daß du meiner Geliebten wie aus dem Gesicht geschnitten bist. Und du fragst dich: Liebt er mich wirklich oder benutzt er mich nur?«
Das Lächeln verschwand. Sie legte ihre Hand auf seine. Er erschrak über die intime Geste.
»Bleib noch einen Moment, bitte. Ich will dich nicht verwirren. Ich weiß nicht, wie es ist, einen geliebten Menschen auf solch eine Weise zu verlieren. Möchtest du mir etwas über sie erzählen?«
Er zog seine Hand zurück. Versuchte sie, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen? Er wollte überhaupt nicht über Senna reden. Er hatte sie in den Tod getrieben. Und jedes Wort, das er mit dieser Frau wechselte, war ein zusätzlicher Nagel zu ihrem Sarg.
»Ich muß gehen.«
»Bitte nicht. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
Er setzte sich wieder. Sie bestellte noch etwas zu trinken.
»Wahre Liebe – die kommt nur einmal im Leben«, sagte sie unvermittelt.
Sie sagte es mit einer gewissen Nostalgie. Senna hatte mal erklärt, daß wahre Liebe dasselbe sei wie Heimweh. Er fragte sich, wonach diese Frau Heimweh hatte.
Er ertrug ihre Gegenwart keine Sekunde länger. Sie verstand es und gab dem Ober ein Zeichen, daß er den Tee nicht mehr zu bringen brauche. Vielleicht bei anderer Gelegenheit, meinte sie, vielleicht wolle er ihr dann von Senna erzählen.
»Dann kann ich sehen, ob die Geschichten von Valdin stimmen.«
»Welche Geschichten?«
»Er hat sie auch gekannt. Sehr gut sogar, behauptet er.«
»Vielleicht lügt er ja.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht? Woher weißt du so genau, daß er Senna gekannt hat?«
»Sonst hätte er es nicht der Polizei gesagt.«
15
E s regnete wieder. Notovich versuchte, Nicole anzurufen, erreichte aber zweimal nur ihren Anrufbeantworter. Nach fünf Minuten laufen war er außer Atem. Die lähmende Müdigkeit war in seine Glieder zurückgekehrt. Hilflos sah er sich nach einer Sitzgelegenheit um. Doch die Straßencafés waren geschlossen, und um ihn herum waren zu viele Leute, als daß er sich einfach auf den Boden hätte setzen können. Also schleppte er sich mit kleinen Ruhepausen nach Hause und ließ sich aufs Bett fallen.
Er versuchte, das Äußere von Senna und Vivien objektiv miteinander zu vergleichen, aber die Konturen ihrer Gesichter flossen jedesmal ineinander. Ihre Züge schienen sich immer wieder seiner Vorstellung anzupassen. Wenn er dachte, daß sie Senna sei, dann glich sie Senna aufs Haar. Dachte er, daß sie Vivien sei, dann war sie auf einmal eine Fremde. Er schlug die Hände vor die Augen und stieß einen verzweifelten Schrei aus.
Er war von sich selbst angewidert, weil er sich jetzt schon nach einer neuen Begegnung mit ihr sehnte. Er hatte Sennas Bild offenbar auf eine vollkommen unbekannte Frau projiziert. Alles, was er je für Vivien empfinden würde, war eine Lüge. Er spulte das Gespräch mehrfach zurück, aber bereits nach dem zweiten Mal wußte er nicht mehr genau, welche Worte sie gebraucht und wie er reagiert hatte. Wer war sie? Wie hatte Valdin sie gefunden? War »Den Hartog« ihr richtiger Name? Was hatte der Franzose tun müssen, um sie wie Senna aussehen zu lassen? Notovich hatte keine Ahnung.
Valdin hatte wie ein bedrohlicher Schatten über dem Gespräch gehangen. Sie redete über ihn, als ob sie Angst vor ihm hätte. Sie beschrieb ihn als jemanden, der Gefahr atmete, der von Liszt besessen war, so wie einst Notovich.
Valdin hatte also mit der Polizei über Notovich gesprochen. Dann hatte er ihnen wahrscheinlich auch seine Adresse gegeben. Denn wer sonst sollte ihm die Einladung für das Konzert geschickt haben? Wie war Valdin ihm auf die Spur gekommen? Warum dieses geheimnisvolle Getue mit dem Klavierduell? Vielleicht wollte er Notovich gar nicht ins Gefängnis bringen, sondern ihn aus der Reserve locken.
Unsinn!
Er ließ sich nicht verrückt machen. Sie hatten nichts gegen ihn in der Hand, absolut nichts.
Er beschloß, in Liszts Werkverzeichnis nach einer »Teufelssonate« zu suchen. Aber dafür müßte er zumindest wissen, in welchem Jahr diese komponiert worden war.
Möglicherweise stand in älteren Liszt-Biographien etwas über die Legende von der Teufelssonate . Notovich mußte erst ein paar Kartons und alte Gartenstühle vor dem Regal wegräumen, um an seine Bücher zu kommen. Er blies den Staub von den Umschlägen und nahm ein dickes Exemplar in die Hand. Als er die vergilbten Seiten aufschlug, fiel etwas zu Boden. Es war eine Feder, die Senna immer als Lesezeichen benutzt hatte.
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