Die Teufelssonate
Aufführung wieder neue Einsichten brachte. Er hätte endlos weitergeübt, wenn Senna ihn nicht auf die Erde zurückgeholt hätte. Sie machte Termine bei den großen Agenten. Die meisten kannten seinen Namen noch von den Wettbewerben, aber die Gespräche kamen nie über gute Absichten hinaus. Es gab einfach zu viele gute Pianisten, und Notovich hatte nichts, wodurch er herausstach. Dann erzählte er ihnen, daß er nur Liszt spielen wolle, doch das hielten sie für künstlerischen Selbstmord. Sogar Glenn Gould, der mit Bach brillierte, machte auch Aufnahmen von Beethoven und Skrjabin. Und wenn Notovich sich nun auf Mozart oder Chopin spezialisieren würde …
»Sie können den Leuten doch keinen ganzen Abend Liszt vorsetzen, Monsieur? Mit diesen Harmonien und dem Gehämmer? Da tun einem ja die Ohren weh!«
Notovich fand, daß sie nicht ganz unrecht hatten.
Aber Senna ließ sich nicht davon abbringen.
»Natürlich sehen sie es nicht. Das hat bis jetzt ja auch noch nie jemand gemacht. Warte nur ab, Mischa. Sie werden dich alle haben wollen. Sie werden denken, daß Liszts Geist wiederauferstanden ist.«
Er rutschte langsam in eine Depression. Er fühlte sich nicht nur von den Agenten zurückgewiesen, sondern auch von Senna. Sie hatten sich noch kein einziges Mal geliebt.
»Konzentrier dich auf die Musik«, sagte Senna. »Ich kann nicht mit der Vorstellung leben, daß du nicht alles aus dir herausgeholt hast, Mischa.«
Er warf Geschirr an die Wand und ging in die Kneipe, um sich zu betrinken. Aber für andere Frauen hatte er keinen Blick. Er wollte Senna, nur Senna. Je öfter sie ihn abwies, desto heftiger wurde sein Verlangen. Manchmal hatte er Angst, daß es ihn tatsächlich verrückt machen würde, daß der Druck zu groß werden würde.
An diesem Abend nahm sie ihre Jacke und schickte sich an zu gehen.
»Wo willst du hin?«
»Schlafen.«
»Das kannst du doch auch hier?«
Aber er wagte nicht, sie zu drängen, aus Furcht, daß sie nie mehr zurückkommen würde.
Dann lernte er Bröll kennen. Was der genau in Paris machte, blieb immer im Unklaren. Er behauptete zuerst, er sei im Urlaub, bis sich herausstellte, daß er schon drei Monate da war und angeblich etwas mit Autoreparaturwerkstätten zu tun hatte. Man sah ihn allerdings nie zu Bürozeiten arbeiten. Überall hatte er Freunde verschiedenster Nationalitäten, hauptsächlich aus dem ehemaligen Ostblock. Nächtelang saßen sie in den hintersten, dunklen Kneipenecken zusammen und redeten. Mitunter lachten sie und prosteten sich die ganze Zeit zu, andere Male dagegen schaute Bröll finster drein und schlug mit der Faust auf den Tisch. In welcher Sprache sie sich unterhielten, war auch nicht herauszubekommen. Bröll stammte aus den Niederlanden, war aber in Deutschland geboren. Er beherrschte mehr Sprachen, als er zugeben wollte. Manchmal schwamm er im Geld, oft jedoch schlich er, ohne zu bezahlen, aus der Kneipe, nachdem er eine Runde ausgegeben hatte, und ließ sich dann ein paar Tage nicht blicken.
Er verstand sich auf Anhieb gut mit Notovich. Was genau die Anziehungskraft zwischen den Männern ausmachte, blieb ein Rätsel. Bröll behauptete, seine Mutter sei Zigeunerin und habe auch slawisches Blut in den Adern, aber das glaubte Notovich nicht. Senna hielt sich bedeckt und ging Bröll aus dem Weg. Notovich fragte nie, warum.
Bröll war von Notovichs Klavierspiel beeindruckt. Er hatte keine Ahnung von klassischer Musik, doch er schien ein Gespür dafür zu haben, was nötig war, um Notovich zum Erfolg zu führen. Von der Liszt-Idee war er begeistert.
»Liszt lebte also auch in Paris? Das ist perfekt. Und in welchen Sälen trat er auf?«
»Manche gibt es noch, aber die sind zu groß und zu prestigiös für das Debüt eines niederländischen …«
»Bla, bla, bla. Ich möchte wissen, in welchen Sälen Liszt seine größten Erfolge feierte.«
Er entschied schließlich, daß der Salle Pleyel die beste Ausstrahlung für das Debütkonzert »des neuen Liszt« habe.
»Der neue Liszt? So willst du mich doch nicht etwa nennen?«
»Ich nicht, aber dein Publikum demnächst schon.«
Notovich mußte sich die Haare lang wachsen lassen wie Liszt, und Bröll bestellte mit Sennas stillschweigendem Einverständnis eine komplette neue Garderobe mit Jacketts, die einen klassischen, romantischen Stil atmeten. Und alles in Schwarz natürlich, das war Sennas Meinung nach die Farbe, die zu Liszt gehörte.
Bröll ging mit einem seiner osteuropäischen Freunde zum
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